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The Witcher 3: Wild Hunt im Test – Krönender Abschluss der Hexersaga?

Vor genau 10 Jahren erschien mit The Witcher 3: Wild Hunt eines des besten Action-RPGs seiner Zeit. Zum Geburtstag holen wir unseren Test zum Spiel noch einmal hervor.

The Witcher 3: Wild Hunt im Test
© CD Projekt Red (Adobe Photoshop [M])

Willkommen im Fantasy-Cockpit

Wenn man nämlich mit Geralt inklusive aller eingeschalteten Anzeigen unterwegs ist, kommt man sich fast vor wie in einem Fantasy-Cockpit – überall Icons, Leisten, Zahlen und Hinweise wie zum aktuellen Wetter, dazu Distanzen in Metern zur aktivierten Quest, natürlich Radar und sogar gestrichelte Linien zum Ziel. Da fehlen nur noch Blinker für sein Pferd Plötze, wenn man beim automatischen Reiten auf den Wegen mal abbiegen muss. Und man fragt sich unweigerlich, warum man das arme Pferd, das Geralt immer so schroff ermahnt, angesichts all dieser Hilfen nicht mal ordentlich vor Tavernen anleinen darf – ging doch auch in Red Dead Redemption.

The Witcher 3 teilt zudem einige überflüssige Komfortfunktionen mit Dragon Age: Inquisition, wie zum Beispiel die kreisrunde Markierung eines Zielbereichs, wenn man Hinweise sucht. Zwar piept da nix in dämlicher Echolotmanier und Schätze materialisieren sich nicht erst auf Knopfdruck am Ziel. Aber so findet man natürlich alles sehr flott, zumal man mit dem Hexersinn auch noch alles Interaktive in Orange, und Spuren, Gerüche sowie Mechanismen in Rot leuchten sieht. Also doch der Fluch der offenen und total transparenten Welt?

Alle Hilfen abschalten und abtauchen

Aufatmen, ihr Pfadfinder und GPS-Verabscheuer: CD Projekt Red hat ein Herz für all jene, die die Geheimnisse der Spielwelt gerne ohne Schilderwald lüften. Man kann in den vorbildlichen Optionen einzelne oder alle Hilfen der Anzeige abschalten, so dass die Windschutzscheibe nur noch Wald und Wiese zeigt – herrlich! Denn so wird man nicht mehr von Zahlen und Klimbim überflutet, sondern kann sich entspannen und die famos inszenierte Spielwelt auf sich wirken lassen.

So entfalten Quests mit örtlichen Richtungsangaben auch ihre Stimmung: Wenn der Alte in einem Dorf mich darauf hinweist, dass ich am Ende des Tümpels bei den Gänsen einen großen Stein finde, an dem ich rechts in den Wald abbiegen soll, wo ich wiederum einen Pfad finde, der zur Hütte einer Hexe führt, macht das Suchen danach ohne Minikarte mit Zielanzeige natürlich ungleich mehr Spaß!

Der ganz normale Hexersinn

Man kann die nervös rotierende Minikarte nicht nur fest auf Nord zurren, sondern in der Größe justieren oder komplett deaktivieren. Und wenn man so spielt, entfaltet auch der Hexersinn seine erzählerisch legitimierten Reize als übersinnliche Hilfe – schließlich gehört Geralt zu den besten Spurenlesern dieser fiktiven Welt. Das ist also kein Cheat, sondern das Ergebnis professionellen Kräuterdopings. Das aktive Schleichen oder um Ecken schauen hat man übrigens komplett gestrichen – und das ist gut so. Denn obwohl ich ein Freund der leisen Infiltration bin, war die Stealth-Action in The Witcher 2 letztlich nichts Halbes und nichts Ganzes.

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Keine Minikarte, kein Kompass, keine Hilfen: Man kann das Abenteuer auch komplett ohne Anzeigen spielen. (CD Projekt Red / Screenshot | 4P)

Zwar findet man seine Beute relativ leicht, wenn man erstmal dem roten Glimmen folgt, aber CD Projekt Red inszeniert das Suchen angenehm langsam und unterhaltsam, indem Geralt wie ein Detektiv einzelne Spuren kommentiert: „Pfeile? Dieser Kutscher kann nicht von Ertrunkenen ermordet worden sein.“ Weil man seinen Gedanken über eine Bestie oder einen Tathergang folgen kann, dabei teilweise an Kreaturen vorbei durchs Unterholz huscht oder über Felsen kraxelt und Abgründe springt, entwickeln sich interessante und spannende Situationen. Diese investigativen Fähigkeiten werden erzählerisch gekonnt in einigen Quests mit morbidem Krimi-Flair integriert.

Sehr schön auch: Lässt man den Hexersinn einfach weg, erkennt man z.B. trotzdem ganz schwach Fuß- oder Wagenspuren – cool! Klasse ist auch, dass diese von einem leichten Rumble begleitet werden, wenn man ihnen ohne Hexersinn weiter folgt. Etwas künstlich wirkt hingegen, dass man ihn für die finale Lösung einer Quest manchmal zwingend braucht, obwohl die Situation auch so offensichtlich ist: Als man z.B. eine Weinflasche findet, die genau in ein fehlendes Fach des Weinregals passt, muss man dafür den Hexersinn aktivieren.

Aard, Axii, Igni, Quen & Yrden

Auch andere übernatürliche Fähigkeiten sorgen für Abwechslung in der Spielmechanik und einigen Quests. Geralt hat ja neben Hexersinn auch fünf magische Zeichen zur Verfügung, die nicht nur im Kampf nützlich sind, weil sie Feinde verbrennen, betäuben, umstoßen, verlangsamen oder unsichtbare Wesen erst sichtbar machen – sie sind auch während der Erkundung oder in Dialogen hilfreich.

Man kann die Druckwelle von „Aard“ einsetzen, um poröse Mauern oder Bretterverschläge zu zerstören oder Feuer zu löschen. Man kann „Axii“ einsetzen, um aufgebrachte Leute zu besänftigen oder in Dialogen zu überzeugen. Aber Vorsicht: Setzt man dieses Zeichen vor Zeugen ein, um einen aggressiven Schläger zu beschwichtigen, kann das den anderen auffallen, die wiederum zu den Waffen greifen – da gibt es eine tolle Szene, in der so ein gut gemeintes Zeichen des Friedens zu einem ganz bösen Blutbad führen kann. Was natürlich auch richtig Spaß machen kann, wenn reihenweise Köpfe folternder Hexenjäger rollen. Aber auch abseits der Action wird man richtig gut unterhalten.