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Cyberpunk 2077 (Rollenspiel) – Willkommen in Night City

Alle wollen Rockstars werden – auch CD Projekt RED. Mit Cyberpunk 2077 haben sie schon bei der Ankündigung ein außergewöhnliches Rollenspiel versprochen. Nachdem man mit The Witcher 3 erfolgreich aus den Fußstapfen von BioWare trat, will man jetzt nicht weniger als ein Spiel in der Größe und Wirkung eines Grand Theft Auto inszenieren. Können sich die Polen mit Cyberpunk 2077 nochmal steigern? Oder haben sie zu viel versprochen? Mehr dazu im Test.

© CD Projekt RED / Bandai Namco Entertainment Europe

Von Buddies und Taxiweisheiten

Schade im Einstieg ist zwar, dass ich die Zeit des Kennenlernens zwischen dem Helden V. und dem zunächst fremden Kontakt Jackie Welles nicht komplett spielen kann, sondern einige Monate als Film-Collage mit Familientreffen & Co vorgespult werden. So kann ich zunächst nicht selbst in kleinen Aufgaben oder Gesprächen eine Beziehung zu ihm aufbauen oder diese gar so beeinflussen, dass ich auf den Kumpel pfeife. Das hat allerdings dramaturgische Gründe, die ich angesichts der drei Hintergründe komplett nachvollziehen kann. Außerdem ist das nur der Auftakt ins Spiel. Und ganz wichtig: Es gelingt der Regie, dass man Jackie auch so besser kennen lernt, also mehr über seine Wurzeln, Freundin und Familie erfährt.

Ich hatte erwähnt, dass ich nachts aufbleibe, um mit Taxis zu reden? Richtig, denn in einer Mission hatte ich den Auftrag von einer Firmen-KI, deren ausgebüxte KI-Autos zu finden, die quasi autonom umher fahren. Fährt man in die Nähe der Taxis, kann man sie anfunken, woraufhin sich ihre KI-Persönlichkeit meldet und mit einem redet. Und ab hier wird es köstlich: Sie alle sind aus anderen Gründen geflohen und überraschen mit eigenwilligen Reaktionen – mal zum Lachen, mal zum Nachdenken, mal zum Fürchten. Oder musstet ihr schonmal ein suizidgefährdetes Auto überzeugen, nicht noch einen Meter weiter gen Abgrund zu rollen? Oder hat euch ein Auto mal gedisst, weil ihr ein Mensch seid? Einfach klasse!

Von Kreuzigungen und Arschlöchern

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Action à la Call of Duty mit Explosionen und Bodycount? Gibt es auch… © 4P/Screenshot

Apropos: Szenenwechsel Kreuzigung. Stellt euch vor, ein Serienmörder kommt aus dem Knast und der Witwer engagiert euch – ihr sollt den Kerl abknallen, damit er endlich bestraft wird. Eigentlich ein klares Ziel! Doch es kann, falls ihr es zulasst (!), alles anders laufen: Dann sitzt man mit dem voll tätowierten Killer, einem korrupten Cop sowie einer bizarren Studiochefin in einem Auto und philosophiert über Gott und Gnade. Lacht man ihn aus? Steigt man aus? Oder fährt man immer weiter mit? Will der sich jetzt wirklich dabei filmen lassen, wie er gekreuzigt wird? Wollen die mit seinem Selbstmord tatsächlich einen Film drehen und Kohle mit all den Schmerzgaffern machen?
 
Night City ist per se kein lustiger Spielplatz. Es zeigt viele Arten von Arschlöchern, die sich am Elend der anderen bereichern. Darunter auch skrupellose Ripperdocs, die nicht mehr ganz gebrauchsfertige Prostituierte so tunen, dass die modifizierte Schönheit wieder ordentlich fickbar ist. Natürlich zum Sonderpreis mit dem billigsten Cyberware-Scheiß, der sie fast umbringt. Irgendwann trifft es eine Bekannte und man bekommt die Möglichkeit, so einen Kerl zu besuchen. Dann stolziert dieser ekelhafte Typ in seiner versifften Klinik umher und rechtfertigt sich, während die nächsten Opfer draußen auf einen Termin warten…was macht man mit ihm? Gewalt in Videospielen kann ja so eine wunderbare Lösung sein.