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Cyberpunk 2077 (Rollenspiel) – Willkommen in Night City

Alle wollen Rockstars werden – auch CD Projekt RED. Mit Cyberpunk 2077 haben sie schon bei der Ankündigung ein außergewöhnliches Rollenspiel versprochen. Nachdem man mit The Witcher 3 erfolgreich aus den Fußstapfen von BioWare trat, will man jetzt nicht weniger als ein Spiel in der Größe und Wirkung eines Grand Theft Auto inszenieren. Können sich die Polen mit Cyberpunk 2077 nochmal steigern? Oder haben sie zu viel versprochen? Mehr dazu im Test.

© CD Projekt RED / Bandai Namco Entertainment Europe

Ein Körper, zwei Persönlichkeiten

Worum geht es überhaupt in der Hauptgeschichte? Um eine dramatische Ausgangssituation, die ein klein wenig an Case, den Protagonisten aus Neuromancer erinnert. Nur ist der Held hier nicht bloß so infiziert, dass er nicht mehr in den Cyberspace kann. Er trägt einen experimentellen Biochip, der seine Persönlichkeit langsam tötet und mit einer anderen Persönlichkeit ersetzen will – der Traum des ewigen Lebens steckt also in dem Söldner, der in der korrupten Stadt voller Gangs und Konzerne sein Glück machen will. Tja, da wird aus dem Jäger nach Ruhm schnell der Gejagte der Gierigen. Kann er sein Leben überhaupt retten?

Aber so richtig Würze bekommt die Story dadurch, dass die zweite Persönlichkeit kein Geringerer als Johnny Silverhand ist. Einer der berühmtesten Helden des alten Nighty City, ein Punkrocker, Anarchist und Konzernhasser, der vor 50 Jahren mit einer Atombombe einen Wolkenkratzer in die Luft jagte – noch heute raunt man davon. Und dieser Johnny materialisiert sich in bestimmten Situationen wie ein Hologramm vor dem Helden, um ihn zunächst mit seinem Zynismus, seiner schlechten Laune oder dem Hinweis auf seinen großen Schwanz in den Wahnsinn zu treiben. Aber da steckt natürlich mehr dahinter: Hat er nicht Recht und hilft einem sogar? Oder will er etwa den Körper von V. übernehmen, der hinterlistige Arsch? Die Regie rückt euch mit dieser Frage immer weiter auf den Pelz. Immerhin warten da mehrere Enden auf euch…

Johnny Silverhand

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Zieht ihr an der falschen Ecke die Waffe, kann es sofort einen Kampf geben. © 4P/Screenshot

Wie Johnny spielt? Ich fasse mich kurz – okay, ich versuche es: Das ist der beste „Sidekick“ in einer der besten Geschichten, die bisher in Spielen erzählt wurden. Nicht nur, weil Keanu Reeves ihn hervorragend personifiziert: Es gibt so viele wunderbare Situationen, in denen er auftaucht, mal pöbelnd, mal philosophierend – und es gibt eine, da schweigt er einfach nur, neben einer Katze liegend, während ich mit einem anderen coolen Charakter, einem Samurai 2.0, über diese Wesen ins Gespräch komme. Dann trifft er einen alten Fan, der immer noch seine Platten sammelt und macht sich über den Kauz lustig. Dann gibt es eine, da forciert er, dass ich die abgefuckte Quest – die ich eigentlich gerade ablehnen will – jetzt sofort annehme oder für immer als Weichei verschissen habe. Das sind grandiose Momente!

Aber das Beste an Johnny Silverhand, der ja aus dem alten Night City kommt, ist die Tatsache, dass er der Story mit seinen Erinnerungen sowie politischen Ereignissen eine vertikale Tiefe verleiht. Diese kalifornische Metropole wirkt nicht wie aus der Luft gegriffen, sondern bekommt eine chronologisch nachvollziehbare Dimension von Vergangenheit – inklusive spielbarer Rückblicke. Es gibt ja auch noch alte Weggefährten von Johnny, man besucht bekannte Orte, aber natürlich geht es auch um Macht und Politik: Folgt dieser Rebell nur seinen egoistischen Zielen oder hat er eine Agenda, diese Stadt von den ausbeuterischen Konzernen zu befreien? In vielen Dialogen kann man sein Misstrauen äußern, ihn schroff abweisen oder so langsam wie einen Freund behandeln – ihr habt die Wahl.