
Für regelrechte Beliebigkeit sorgt das fehlende Fraktionssystem. Hat man an der Schwertküste noch die Hoffnung, dass sich die Machtpolitik zwischen Eingeborenen, Inquisition sowie den untereinander verfeindeten Piraten irgendwie auswirkt oder dass man als Held größeren Einfluss hat, löst sich diese kurz nach der einzigen relevanten Entscheidung des Spiels in Luft auf: Man kann sich an einer Stelle für die Eingeborenen oder die Inquisition entscheiden, so dass man entweder Voodoo lernt oder sich der Muskete widmet – das war’s. Man muss sich kein Vertrauen einer Fraktion über gleichzeitige Quests erarbeiten, so dass man evtl. über Stunden in Konflikte gerät wie noch zu Gothiczeiten. Hier mangelt es dem Spiel an Komplexität und epischer Sogkraft. Man hat eher das Gefühl, sich durch ein hübsches Bilderbuch zu blättern als auf einer gefährlichen Reise zu sein.
Man hat auch nicht den Eindruck, dass sich wenigstens diese einzige Entscheidung irgendwie auf das Verhalten der Parteien auswirkt – es geht weiter linear vorwärts, denn selbst mit einer Eingeborenen im Schlepptau spaziert man munter durch die Orte der Blauröcke oder umgekehrt. Man kann es sich nirgends so verscherzen, dass es spürbare Konsequenzen oder Tabuzonen gibt. Die Story kann auch keine charismatischen Antagonisten aufbauen. Kaum begegnet man einem potenziellen Kontrahenten, wird dieser auch schon in einem Duell besiegt. Lediglich im letzten Drittel gibt es mal eine überraschende Wendung – gerade für eine Piratengeschichte fehlt es aber über weite Strecken an Intrigen und Überraschungen.
Angenehmer Spielfluss

Bis dahin plätschert alles erzählerisch belanglos vor sich hin. Und so seltsam das klingt, sorgt auch das für einen angenehmen Spielfluss, denn es gibt zig Aufträge, die einen auf Trab halten und in der guten Übersicht dokumentiert werden. Zwar gibt es auch hier kleinere Bugs, aber das Inventar ist gut zu bedienen. Schön ist, dass man einige Aufträge auch ohne Kämpfe oder lange Botengänge lösen kann, indem man Leute einschüchtert oder überredet. Wenn das nötige Talent fehlt, kann man auch über Ringe, Amulette oder Tränke nachhelfen, die vielleicht einen Bonus auf „Silberzunge“ verleihen. Man hat immer noch so viel an so vielen Schauplätzen zu tun, dass einem nicht langweilig wird. Sehr ärgerlich bleibt, dass man nicht aktiv segeln darf – wer von der Schwertküste nach Antigua will, klickt einfach auf die Karte.
Vor Ort gibt es immer viel nebenbei zu tun: Man kann Affen zähmen und diese in unzugängliche Bereiche schicken, man kann legendäre Gegenstände und weitere Schätze suchen. Vor allem beim zweiten Besuch von Caldera machen auch die Hauptaufträge Spaß, weil z.B. Voodoo clever eingesetzt werden muss – man kann fremde Körper übernehmen, um sich so höhere Belohnungen oder Zugang zu bisher verbotenen Orten verschaffen. Man manipuliert Stimmabgaben, verkleidet sich und erlebt endlich etwas Abwechslung von Bring-mir-dies-oder-das. In der Bucht von Maracai sorgt die Erkundung des Dschungels dann für gute Unterhaltung in der Wildnis, denn hier hat man lange Zeit keine Karte, darf auch mal an Simsen – schrecklich hölzern animiert, voller Clippings- irgendwo hinauf klettern und durchstreift einen labyrinthischen Urwald mit vielen Höhlen und Ruinen. Es gibt abseits der Pfade also einiges zu entdecken, zumal man sich auch mit dem Brauen von Tränken, Schmieden von Schwertern oder Pistolen beschäftigen kann.
Mehr Masse als Klasse

Die Quantität der Aufträge stimmt, aber die Qualität lässt oft zu wünschen übrig, weil sie entweder zu billig sind, spürbare Konsequenzen fehlen oder das Figurenverhalten schlichtweg fehlerhaft ist: Wenn man einen Gefangenen befreien soll und der Schlüssel drei Meter vor dem Knast „von der Wache fallen gelassen wurde“, ist das genau so billig wie die Pflanzensuche für Einheimische, die sich darauf beschränkt, die drei Quadratmeter vor deren Füßen zu begutachten – auf diesem engen Raum muss man tatsächlich auch mal ein Artefakt finden, dass jemand verloren hat. Leichter geht es kaum noch.
In manchen wichtigen Szenen fehlt zudem die Glaubwürdigkeit: Da hat man gerade mit einem Geist der Ahnen gesprochen und kann einfach so dessen Sarkophag plündern, obwohl das Plündern der alten Tempel laut Story ein Sakrileg ist? Da hat man gerade den Piraten Hawkins aus dem Knast der Inquisition befreit und der darf einfach mit Patty unten am Hafen palavern, obwohl dort Wachen patrouillieren? Man übernimmt einen Kommandeur mit Voodoo und kann die Truhen im eigenen Haus nicht öffnen, weil der [GUI_PLAYER(ID=89377,width=400,text=Dieses Figurenverhalten macht die Stimmung gleich wieder zunichte.,align=right)]Schlüssel fehlt?
Richtig ärgerlich sind seltene, aber schwere Bugs im Figurenverhalten, die so manche heikle Quest zum Treppenwitz degradieren: Man soll Kanonen sabotieren, die bewacht werden. Wie bekommt man bloß die sture Wache Benito da weg? Erstens gibt es hier weder über Voodoo noch Rhetorik in Dialogen eine Chance, was schon mal schade ist. So besteht der einzige Weg darin, ihr eine aufs Maul zu hauen, was plump, aber immerhin akzeptabel ist. Aber wenn man den Säbel zieht und sie attackiert, lässt sie sich einfach so ohne Gegenwehr fertig machen (siehe Video) – das zerstört jegliche Spannung.