Ich rase hinter dem Steuer meines aufgemotzten Ferrari 430 Scuderia die lange Start-Zielgerade des Grand Valley Speedways entlang. Erinnerungen werden wach: Es scheint fast so, als hätte ich erst gestern auf der Original-PlayStation in Gran Turismo 2 stundenlang an der perfekten Linie gefeilt, um endlich die Rundenzeiten zu knacken, die damals in einer Ausgabe eines Videospiel-Magazins im Rahmen eines Wettbewerbs veröffentlicht wurden. Jeder Bremspunkt und jede Kurve ist nach
einer kleinen Proberunde wieder verinnerlicht. Mir wird erneut klar, dass die GT-Serie mit Trial Mountain, Deep Forest, Autumn Ring & Co neben all den lizenzierten Weltstrecken wie Laguna Seca, Suzuka oder der Nordschleife des Nürburgrings trotz all des Recyclings immer noch die besten fiktiven Kurse bietet, die man im Rennspiel-Genre finden kann.
Der Neuzugang Cape Ring bildet mit seiner unglaublichen Steilkurve und dem abwechslungsreichen sowie fordernden Streckenverlauf keine Ausnahme und fügt sich damit wunderbar in die hervorragende Auswahl ein, die außerdem noch von staubigen Rallye- sowie Nascar-Rundkursen ergänzt wird. Den Höhepunkt markieren aus technischer Sicht die Ausflüge in die Innenstädte von London, Madrid und Rom, die mit einer unglaublichen Liebe zum Detail nachgebildet wurden: Vor allem unter Full-HD ist ein Wow-Effekt garantiert, wenn man z.B. mit über 200 Sachen zum ersten Mal dem Kolosseum entgegen rast oder die wunderschönen Bauten in Madrid bewundert. Auch die Toskana bleibt mit ihrem herrlichen Tag-/Nachtwechsel in Erinnerung, während für mich die Gebirgs-Achterbahn durch die Eiger Nordwand mit ihrem traumhaften Panorama und der anspruchsvollen Charakteristik das Rallye-Feeling nahezu perfekt einfängt.
Technische Schwächen
Doch so beeindruckend die Kulissen auf den ersten Blick aussehen, offenbaren sie doch schnell den einen oder anderen störenden Makel: So gibt es z.B. kaum eine Strecke, in der das Bild nicht zwischendurch durch heftiges Tearing zerrissen wird. Auch das Publikum auf den Tribünen besteht entweder aus Pappaufstellern oder ist nur mäßig animiert – spontane Reaktionen auf das Renngeschehen gibt es hier im Gegensatz zu Project Gotham Racing nicht zu sehen. Ist zu viel los und man fährt z.B. im Regen mitten in einem Fahrzeug-Pulk, wandert die Framerate auch schon mal spürbar unter die 60 Bilder pro Sekunde und es kommt zu Slowdowns.
Was generell auffällt, ist die schwankende grafische Qualität bei den Strecken: Während man in den Städten viel architektonische Feinarbeit erkennt, wirken vor allem viele Weltstrecken wie Monza
oder Tsukuba unspektakulär und lieblos umgesetzt. Besonders in Le Mans sowie auf der Nordschleife fallen schnell die generischen Bäume ins Auge, die teilweise sogar nur eine 2D-Tapete darstellen und offensichtlich mit Copy & Paste an den Streckenrand platziert wurden. Pop-ups von Texturenschichten, aber auch kompletten Objekten wie Tribünen, treten ebenfalls hin und wieder auf, während das Kantenflimmern hier zwar nicht so stark ausfällt wie bei Forza 3, aber immer noch vorhanden ist.
Diese grafischen Einbußen lassen sich mit einer Ausnahme verschmerzen: Die durchweg furchtbare Schattendarstellung zieht mit ihren groben Flacker-Treppchen sowohl das Gesamtbild als auch die eigentlich gelungene sowie in drei Stufen verstellbare Cockpitansicht nach unten. Nicht falsch verstehen: Gran Turismo 5 sieht immer noch gut aus. Neben einigen nahezu fotorealistisch modellierten Fahrzeugen tragen auch die feinen Partikeleffekte dazu bei, dass man sich immer wieder gerne hinters Steuer klemmt. Angesichts der langen Entwicklungszeit und im Hinblick auf die Konkurrenz, die selbst vor einem Jahr schon mehr Qualität zu bieten hatte, ist diese Kulisse allerdings eine kleine Enttäuschung, da sich auch seit dem Prolog aus dem Jahr 2007 nicht mehr allzu viel getan hat.