Störende Online-Verpflichtung
Damit scheint man sich auf den ersten Blick nicht von einschlägigen Online-Rollenspielen wie Star Wars: The Old Republic, Tera oder Neverwinter, aber auch Bethesdas erstem reinrassigen Online-Versuch The Elder Scrolls Online zu unterscheiden. Auch dort war es möglich, einen Großteil der Quests solo zu erledigen, während man die Welt auf der Suche nach Abenteuern durchstreift. Doch mit der hier deutlich zurückgestuften Anzahl an Spielern fühlt sich diese Prämisse deplatziert an. Ist Fallout 76 ein Offline-Fallout Light, das eine Online-Komponente hat? Oder ist es ein Online-Spiel, das irgendwie nicht verstanden hat, wie es eigentlich funktionieren soll? Diesen Spagat kann das Abenteuer in West Virginia nur selten bewältigen. Abseits der fehlenden Bevölkerung fühlt sich die Welt von Fallout authentisch an, das Fundament entspricht dem, was man in den Offline-Teilen 3, New Vegas und 4 kennen-, lieben und/oder hassen gelernt hat. Man erforscht die Spielwelt, wobei gefühlt weniger Häuser eine Möglichkeit bieten, sie zu betreten. Man knackt Schlösser wie in Fallout (oder in Skyrim), man hackt Computer, wie man es kennt, öffnet Safes und sammelt alles ein, was nicht niet- und nagelfest ist. Man kämpft mit einer Vielzahl an Nah- und Fernkampfwaffen, von denen die meisten aufgewertet sowie angepasst werden können gegen die in regelmäßigen Abständen auftauchenden („spawnenden“) Gegner. Man kassiert nach deren Erledigung Erfahrung, steigt irgendwann im Level auf, kann irgendwann bessere Waffen oder Rüstung nutzen. Man folgt entweder den vorgegebenen Haupt- und Nebenmissionen oder folgt einfach seiner Nase, die einen zwangsläufig irgendwann zu neuen Aufgaben und Schauplätzen führt.
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Und doch bleibt alles irgendwie an der Oberfläche. Über die Audionachrichten der Holotapes, die Radiosender und die Textbausteine, die man über zurückgelassene Briefe oder Einträge in Computerdatenbanken findet, ergibt sich nach wie vor ein durchaus interessantes Bild der postapokalpytischen Welt. Doch im Vergleich zu den „großen“ Fallouts fehlt die menschliche Komponente. Betritt man einen der „Dungeons“, was mit den größeren Questreihen unvermeidlich ist, kommt 76 so nah an ein echtes Fallout-Erlebnis heran, wie es nur geht. Situative Spannung, Umgebungsrätsel und dazu auch wieder ein Haufen an sammelbarem Zeug haben in diesen Momenten immer wieder dafür sorgen können, dass die Motivation nach oben geht. Allerdings kann der „Shooter“ Fallout hier noch weniger überzeugen als bei den Offline-Brüdern. Theoretisch verwendet man das gleiche Echtzeit-System, so dass all diejenigen, die auch früher auf das taktische V.A.T.S.-System mit seiner Verlangsamung verzichtet haben, eigentlich den gleichen Spaß haben sollten. Eigentlich: Denn die Action verliert hier durch mitunter große Verzögerung zwischen Eingabe und Umsetzung zunehmend an Reiz. Sowohl auf One als auch PS4 gibt es immer wieder Lags, die den Spielfluss hemmen und im Vergleich mit dem auch auf Action mit Rollenspiel-Unterbau setzenden Destiny den großen Unterschied bei der Netzcode-Qualität deutlich machen. Und das, obwohl man hier mit den gerade mal zwei Dutzend Spielern wahrlich keine Bäume ausreißt und die Welt trotz der Vergrößerung um den Faktor 4 im Vergleich zu Fallout 4 nicht sehr groß scheint. Das hat Bethesda bei Elder Scrolls Online deutlich besser gemacht.
Der Bethesda-Fluch
Machen wir uns nichts vor: Bugs sind angesichts der schieren Größe und der Ambition, die den Bethesda-Rollenspielen innewohnt, nicht vermeidbar. Doch während ich bei den teils mehrfachen Offline-Ausflügen in die Welten von Skyrim oder die Postapokalypse auf keinen Fehler gestoßen bin, der mir das Weiterspielen verleiden konnte, werde ich hier mitunter bis an den Rand der Geduldschwelle getrieben. Die Lags habe ich bereits erwähnt. Doch es gab auch vergleichsweise häufige Serverabbrüche (in den bisher etwa 15 Stunden Spielzeit gut zehn Mal), auf der One sogar komplettes Einfrieren (dreimal), das ein Verlassen des Spiels nötig machte. Dass man bei einem Neustart je nach Stand der Datenspeicherung ganze Storystränge neu machen muss oder Events, an denen man gerade teilnahm, bedingt durch eine andere „Welt“ in einem anderen Rhythmus stattfinden, ist ebenfalls nervig. Dazu gesellten sich Missionsbugs, die in einem Fall sogar dafür sorgten, dass bei
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einer „Event-Aufgabe“, in der man nur Essenscontainer in eine Maschine kippen musste, aus mir bis jetzt unerfindlichen Gründen, meine gesamte Munition für die gerade verwendete Waffe verschwand! In der Summe wirkt Fallout 76 überraschend unfertig.
Das wiegt umso schlimmer, da ich mich immer wieder dabei ertappe, wie ich Spaß in der Spielwelt habe – vor allem in den Momenten, in denen ich das Gefühl habe, ein Offline-Abenteuer zu spielen. Wie z.B. in dem Moment, als ich einen Flughafen von Mutanten befreite und im letzten Hangar eine Power-Armor entdeckte, die die Aufgabe stark erleichterte. Auf einmal fühlte ich mich ähnlich wie in der letzten Bethesda-Apokalypse, als ich dort das erste Mal mit der massiven Rüstung auf die Gegner zugestürmt bin. In späteren Abschnitten wird zudem der Bau eines eigenen Lagers, das auch von Mobs angegriffen werden kann, zunehmend wichtiger. Nicht nur, weil das eigene Domizil als kostenloser Teleport-Punkt genutzt werden darf, der ähnlich umfangreich ausgestattet wird wie die Siedlungen in Fallout 4 und sogar als Blaupause gespeichert werden kann, damit man alles per simplen Knopfdruck umgehend aufbaut anstatt sich durch das Menü zu klicken. Apropos Teleport: Dass man sich zu Events teleportieren kann, die in einem Gebiet liegen, das man noch nicht zu Fuß erreicht bzw. erforscht hat, geht für mich komplett gegen das Fallout-Prinzip. Das Lager ist auch wichtig, weil man hier alle Crafting-Stationen gleichzeitig zur Hand hat, um seine Gegenstände zu zerlegen, seine Waffen und Rüstungen aufzuwerten oder sich um sein leibliches Wohl zu kümmern. Essen und Trinken ist in diesem Fallout wichtiger denn je. Doch der anfangs noch bedrohlich wirkende Überlebensaspekt verliert spätestens dann seinen Schrecken, wenn man seinem Lager eine Wasserpumpe hinzugefügt hat und das dort gewonnene Nass am Lagerfeuer abkocht. Essen findet man ohnehin genug, wobei die nach erst aufzufindenden Rezepten zubereiteten Gerichte mehr Vorteile vorsprechen – auch wenn man gelegentlich viel zu viel Zeit aufwendet, um die Zutaten zu suchen oder zu jagen.