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Fallout 76 (Rollenspiel) – Postapokalyptischer Super-GAU

Fallout hat sich bei Bethesda von einem Taktik-Spektakel vor dem Hintergrund einer Postapokalypse zu einem der Rollenspiel-Schwergewichte schlechthin gemausert – offline wohlgemerkt. Doch mit dem überraschend  im Frühjahr angekündigten Fallout 76 verabreicht man dem Ödland eine Online-Kur und hat sich wie seinerzeit bei The Elder Scrolls Online erst einmal den Groll der Community zugezogen. Im ersten Teil unseres Tests verraten wir, welchen Eindruck wir nach 15 Stunden im nuklear verseuchten Virginia haben.

© Bethesda Game Studios / Bethesda

Klassischer Beginn

Fallout 76 beginnt erzählerisch recht klassisch. Man erfährt wie immer, wieso man im Bunker aufwacht, in diesem Fall Nummer 76, bevor man sich im potenten Editor sein virtuelles Alter Ego erschafft und schließlich nach dem großen Krieg als „Wiederaufbauhelfer“ in das Gebiet von West Virginia entlassen wird, das etwa vier Mal so groß ist wie das Fallout-4-Areal. Man marschiert an Mister Handys vorbei, die einen im ansonsten wie ausgestorbenen Bunker begrüßen. Sie sind es auch, die einen durch die Gänge leiten und mit den wesentlichen Änderungen der im Kern natürlich weiter auf den Offline-Fallouts basierenden Mechaniken bekannt machen. Und dann ist es soweit: Man steht vor dem Ausgang, der sich langsam und majestätisch öffnet. Das gleißende Sonnenlicht brennt sich auf die Netzhaut…

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Eine gravierende Änderung: Das S.P.E .C.I.A.L.-System für die Charakter-Entwicklung wurde auf Karten umgestellt – was unter dem Strich allerdings weniger stört als gedacht. © 4P/Screenshot

… und dann ist man draußen. Und man fühlt sich sofort wie in einem echten Fallout – also einem Offline-Abenteuer. Der Blick schweift in die Entfernung. Sieht doch ganz nett aus. Noch bunter als Fallout 4 und damit definitiv einen deutlich freundlicheren Eindruck hinterlassend als das zumeist braungraue Fallout 3 werde ich vom altbekannten Erforschungsfieber gepackt, das für mich bei Bethesda-Rollenspielen quasi automatisch greift. Was verbirgt sich hinter der nächsten Kuppe? Hier ist ein Symbol auf dem Kompass aufgetaucht, dem ich nachgehen muss. Dort kommt ein weiteres. Und noch eines. Wie man es kennt, wird die Neugier durch diese sich stets erweiternde Welt angeheizt. Ein Blick auf die Karte, die hier von Beginn an komplett freigeschaltet ist, auch wenn entscheidende Entdeckungen und damit Orte für die kostenpflichtige Schnellreise erst nach und nach eingezeichnet werden, zeigt aber auch merkwürdige graue Punkte?!?

Das gemeinsame Offline-Erlebnis

Stimmt, da war ja was: Fallout 76 ist ein Online-Spiel. Man teilt sich die Welt mit anderen Bunker-Überlebenden, die wie man selbst den Wiederaufbau nach dem großen Krieg vorantreiben sollen. Im Gegensatz zu anderen, meist in der Fantasy angesiedelten Online-Rollenspielen, gibt es in der Welt von Fallout 76 allerdings keine unterschiedlichen Startgebiete. Alle starten in Vault 76, sprich: ist man mit keinem höherstufigen Spieler  in einer Welt, gibt es an bestimmten erzählerischen Knotenpunkten, die zumeist mit der Hauptmissionslinie der Bunker-Aufseherin zusammenhängen Ballungspunkte, an denen man mit anderen menschlichen Spielern zusammentrifft. Doch irgendwann bzw. spätestens, wenn man nach einem Ausloggen und Neustart in einer anderen Welt landet, verteilen sich die Spieler über die Karte. Und das bedeutet, dass man sich schon sehr alleine fühlt. Die Einsamkeit, die dem Ödland schon immer innewohnte, war noch nie so groß wie hier. Allerdings stelle ich mir schon die Frage, wieso es keine anderen Überlebenden gibt. Selbst die im Rahmen der Erzählung vor einem kommenden Ersthelfer und Wiederaufbauer haben bereits wieder das Zeitliche gesegnet. Ihnen begegnet man nur über Holotape-Audioaufnahmen und ihre zumeist in Computern versteckten Text-Journale, die auch gleichzeitig als Auslöser für Missionen dienen können. Da man allerdings ansonsten nur noch Robotern und Gegnern begegnet, darunter bekannten

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West Virginia hinterlässt visuell einen ordentlichen Eindruck – kann aber auch nur selten beeindrucken. © 4P/Screenshot

Mutationen wie den Maulwurfsratten, Ghulen oder den orkhaften Mutanten, wirkt die Welt unnatürlich leblos auf mich. Ich stehe in einem Logik-Zwiespalt, ob die zeitliche Differenz von 170 bzw. 180 Jahren auf die Ereignisse in Fallout 3 und 4 das Fehlen menschlicher Bevölkerung adäquat erklären.

Gibt es keine „natürlichen“ Überlebenden und werden die „Wiederaufbauer“ der amerikanischen Zivilisation quasi doppeldeutig verwendet? Oder sollten nicht auch in dieser Welt andere „Überlebende“ abseits der Spielercharaktere zu finden sein. Denn man darf sich nichts vormachen: Ein MMO (Massively Multiplayer Onlinespiel) ist Fallout 76 auf keinen Fall. Mit nicht einmal 30 Spielern pro Welt, die darüberhinaus aus allen Levelbereichen stammen können, wirkt West Virginia auf mich eher wie eine merkwürdige Symbiose aus Off- und Onlineelementen. Sowohl die soziale als auch die mechanische oder missionsbedingte Interaktion mit anderen Spielern kann man theoretisch ignorieren. Ja: Manche Aufgaben bzw. Dungeons und vor allem die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Events lassen sich leichter bewältigen, wenn man mit anderen unterwegs ist oder sich in deren Schlepptau befindet. Doch in den ersten 15 Stunden, was für mich mit einer eher behäbigen Spielweise sowie wenig Teleportnutzung gleichbedeutend mit Charakterstufe 15 ist, hat mir Fallout 76 keine übermäßigen Anreize geboten, mich einem Team anzuschließen.  Natürlich habe ich hier und da mal eine Einladung eingenommen. Doch da die Gruppe sich nach einem erledigten Event wieder in alle Winde zerstreute und man nur per Zufall oder als Freundeseinladung mit Bekannten in der gleichen Welt landet, spielt sich Fallout 76 eher wie ein Offline-Spiel, in dem mal mehr, mal weniger häufig auch ein anderer Spieler eine Gastrolle übernimmt. Nicht umsonst hat Todd Howard auf einer E3-Präsentation gesagt, dass man zwar „online“ sein müsse, aber es auch komplett alleine spielen und Quests in der Welt ohne andere Mitspieler absolvieren kann.