Schwaches Figurenverhalten
Auch wenn es einige spielmechanische Ähnlichkeiten zur Uncharted-Reihe gibt, vor allem beim Infiltrieren von Banditen-Lagern samt vorheriger Markierung oder Todeshieben aus dem Gebüsch, erreicht das Figurenverhalten im Kampf nicht die Qualität, die man im vierten Teil von Naughty Dog beobachten konnte.
Zwar gibt es unterschiedliche Alarm-Zustände, die zu anderem Suchverhalten führen, aber die menschlichen Feinde sind recht verzeihlich, flankieren nur halbherzig und sind teilweise blind für den Meter vor ihnen. So kann man mehrere Feinde hintereinander in einem Gebüsch töten.

Gut gefallen mir die verschiedenen Verhaltensmuster bei den Freakern, die sie von Zombies unterscheiden. Es gibt ja mehrere Arten, die alle etwas anders agieren: Die Schwärmer sind lichtempfindlich und wirken wie verstörte Hunde, die eine Witterung aufnehmen wollen, während sie scheinbar wahllos mal in diese oder jene Richtung schnüffeln. Falls sie einen sehen, stürmen sie los.
Die Krabbler hingegen, die an Kinder erinnern, halten sich vornehmlich auf Dächern auf, gehen in die Defensive und lassen sich sogar verschrecken. Falls sie einen sehen, halten sie sich erstmal zurück und greifen erst an, wenn sie eine Schwäche entdecken. Ich hatte zunächst Hemmungen, sie zu töten – die Story hat übrigens eine Erklärung dafür, warum Deacon auch bei ihnen keine Skrupel mehr kennt.
Böse Überraschungen
Zudem entscheidet die Tageszeit über das Verhalten: Wer die Nester der Freaker bei Tageslicht mit Molotows ausräuchert, hat zwar mit weniger Bewachern drumherum zu tun, aber muss mit mehr aggressiven Freakern rechnen, die aus dem Nest heraus stürmen. Days Gone hat einige böse Überraschungen zu bieten, die die Gegner-KI zumindest situativ aufwerten.
Die Ripper versuchen es aus der Distanz mit Psychoterror, indem sie einen zum Aufgeben anstacheln. Dann ist da zum Beispiel die defensive Absicherung der Drifter: Wenn man nicht aufpasst, tritt man in eine ihrer Fallen und wird vielleicht an einem Baum hochgezogen, landet dann in ihrem Lager als Gefangener. Und auf dem Bike ist man übrigens nicht sicher vor den Freakern.
Ja, man kann sie auch mit der Maschine überfahren oder auf sie schießen, aber die schmeißen sich schon mal bei voller Fahrt auf einen, so dass man sich plötzlich umzingelt und verletzt im Nahkampf befindet. Also muss man direkt ausweichen und einen Verband anlegen, wobei die Zeit übrigens nicht angehalten wird.

Das „Survival-Rad“ lässt sich ansonsten intuitiv bedienen, indem ich dort mit ein, zwei Klicks aus vorhandenen Rohstoffen neue Bandagen, Bolzen oder Schalldämpfer anfertige und sie auch direkt anlege. Zwar wirkt das Menüdesign etwas steril, aber die Steuerung über das Touchpad mit dem Wischen nach oben, unten, rechts oder links führt einen elegant und direkt in die Bereiche Karte, Story, Fähigkeiten oder Inventar.
Auch wenn es Sammelbereiche gibt, etwa für die überall verstreuten Tafeln von Denkmälern, halten sich diese eher dezent im Hintergrund, bringen keine Erfahrung und man kann sie komplett ignorieren.
Ernüchternde Fauna und Jagd
Was den Bend Studios trotz einiger Ansätze nicht gelungen ist, sind Fauna und Jagd. Ich erwarte in diesem eher apokalyptischen Szenario nicht, dass Oregon als Biber-Staat seinem Spitznamen gerecht wird und mir à la Red Dead Redemption 2 eine ebenso üppige wie zumindet in Ansätzen authentische Tierwelt zeigt.
Aber die wenigen Lebewesen bewegen und verhalten sich nicht natürlich – ja, das Rotwild schreckt auf und flüchtet, aber meist viel zu spät oder in seltsamen Routen. Und vor allem die Wölfe hat es mal wieder böse erwischt. Sie agieren nicht im Rudel oder gar wie ausdauernde Beutejäger, sondern wie blöde Killer, die einen auch mal direkt auf dem Bike angreifen.
So werden sie zu weiteren Gegnern degradiert, die man zur Not mit der Machete niedermäht. Ganz schlimm ist leider auch der Auftritt eines mächtigen Grizzleys als Boss mit Lebensleiste. Schade, dass man das so primitiv darstellen muss. Besser wäre es gewesen, die Seuche auch an ihne so darzustellen, sodass sie als mutierte oder kranke Tiere zu erkennen sind.

Überhaupt macht die Jagd nicht so viel Laune. Einigermaßen authentisch ist noch, dass angeschossene Tiere erstmal fliehen und dass man irgendwann ihren Kadaver finden kann. Auch der Einsatz der Überlebenssicht ist theoretisch sinnvoll. Deacon kann eine fokussierte Sicht aktivieren, die ihm auch Spuren anzeigt – dabei wird der Rumble-Effekt am Gamepad stärker, je näher ich ihnen bin. Außerdem kann ich bei speziellen Funden eine Art geisterhaften Rückblick zu sehen, nachdem ich Kot untersucht habe.
Das erinnert ein wenig an das in Demon’s Souls eingeführte System und es ist durchaus eine gute Idee – denn so müsste man sich an der dort angezeigten Richtung orientieren. Aber weil man sich eben nicht nur das Bild einprägen muss, sondern auch direkt Lupen am Boden sieht und Fußspuren sogar in der Minikarte angezeigt werden, verliert sich das im Ansatz aufkommende Pfadfindergefühl.
Es gibt leider keinen Immersive-Modus, wie ich noch in der Vorschauversion gehofft hatte, der etwaige optischen Hilfen abschaltet. Diesen Service lieferten die Bend Studios ärgerlicher Weise erst im Juni mit dem ersten kostenlosen DLC in Form eines vierten Schwierigkeitsgrades nach, bei dem Karten und Markierungen ausgeblendet werden und sowohl Schnellreise als auch Überlebenssicht fehlen.