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The Sinking City (Rollenspiel) – Wahnsinn aus dem Meer

Was ist bloß mit den Leuten los? Alpträume und Wahnvorstellungen plagen immer mehr Bewohner der amerikanischen Ostküste in den 20er Jahren. Manche von ihnen wollen seltsamer Weise nach Oakmont pilgern, das nach einer Flut halb versunken und isoliert vor sich hin vegetiert. Auch der Privatdetektiv Charles Reed will herausfinden, was es mit seinen eigenen Visionen und der Anziehungskraft von The Sinking City auf sich hat.

© Frogwares Studio / Bigben Interactive / Frogwares

Rollenspiel? Nicht wirklich…

Die Fokussierung auf Traglast, Kampf & Co in der Charakterentwicklung ist mir unverständlich. Warum gibt es keinerlei rhetorische oder psychologische Talente? Warum gibt es kein Schloss knacken oder Ähnliches? Warum kann man nicht seine paranormalen oder detektivischen Fähigkeiten verbessern? Apropos: Türen werden plump eingerannt, Schlösser aufgeschossen. Es ist mir jedenfalls vollkommen schleierhaft, wie man dazu mit Pegasus ein Pen&Paper-Abenteuer namens „Schwarze Tiefen“ aufsetzen kann! Aber Moment, wenn ich das hier in der Beschreibung lese…

„Schwarze Tiefen ist besonders für Neueinsteiger oder Spieler, die ein nicht allzu komplexes Regelwerk bevorzugen.“


..wird wieder einiges klar. Liebe Lovecraft-Interessierte, liebe Pen&Paper-Einsteiger: Es gibt seit 1981 ein bis heute aktualisiertes und richtig gutes Regelwerk von Sandy Petersen bei Chaosium. Das empfehle ich euch dringend. So, und jetzt
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Manche Bereiche der Stadt lassen sich nur mit dem Boot erreichen. © 4P/Screenshot
weiter zu The Sinking City, das sich zwar zu all den enttäuschenden Digitalisierungen von Lovecrafts Werk gesellt, aber das tatsächlich auch gute Seiten hat, die es vor einem Verriss retten.

Die guten Seiten


Was macht The Sinking City also gut? Die Story rund um eine verschollene Tiefsee-Expedition kann durchaus neugierig machen, zumal im Hintergrund einige Morde und Entführungen stattfinden, die man nicht sofort zuordnen kann. Vor allem, wenn man selbst mit dem Taucheranzug in die Tiefe des Meeres absteigt und bizarre Felsen oder Wesen sieht, fühlt man sich in seiner metallenen Hülle trotz Harpune und Leuchtraketen endlich wieder mehr wie der verwundbare Held in einem Lovecraft-Abenteuer.

Mir gefällt z.B., dass man aufgrund der überfluteten Straßen nicht alles zu Fuß, sondern teilweise nur mit dem Boot erreichen kann und dass man einige Questziele auf der Karte aktiv suchen muss, indem man Straßennamen durchstöbert. Das ist noch sehr leicht und hat man erstmal genug Schnellreise-Telefonzellen entdeckt nicht besonders gefährlich: Vorher muss man aber schonmal durch ein infiziertes Gebiet, das wie ein Ghetto abgeriegelt ist – da gibt es in Tonnen und Kisten viel Beute, aber aus dem Boden brechen schnell zig Monster, da hilft nur schnell durchlaufen.

Man kann die Gefahr bzw. den Anspruch verstärken, wenn man im Schwierigkeitsgrad nicht nur den Kampf in drei Stufen, sondern auch die Detektivarbeit anpasst; so bekommt man schon auf „normal“ weniger optische Hilfsanzeigen und weniger
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Das Kombinieren von Hinweisen und die offenen Schlussfolgerungen gehören zu den wenigen Stärken des Spiels. © 4P/Screenshot
klare Hinweise auf das, was als Nächstes zu tun ist. Auch die fünf Zeichen an Türen, die für Bewohner, Beute, Gefahr etc. stehen sind eine nette Idee.

Hinweise kombinieren

Überhaupt hat die Recherche gute Ansätze, die etwas logisches Nachdenken erfordern: Hinweise aus Dialogen werden zunächst als separate Notizen abgelegt, die man aktiv miteinander kombinieren muss – wie etwa ein Motiv und einen Mordverdächtigen. Außerdem kann man aus diesen passenden Hinweisen mehrere Schlussfolgerungen ziehen, so dass man einen Täter am Ende eher entlastet oder klar beschuldigt. Je nachdem wie man sich hier entscheidet, gibt es kleinere Konsequenzen wie Belohnungen oder größere Folgen innerhalb der Story mit ihren mehreren Enden. Hier und an weiteren Stellen bemerkt man die Expertise der Sherlock-Holmes-Macher.

Man kann im Krankenhaus, bei der Polizei oder Zeitung z.B. in Archiven stöbern, um bestimmte Personen zu finden. Dabei muss man drei Indizien aus vier möglichen Kategorien eingeben, darunter etwa der Zeitraum, der Bezirk oder die Art des Verbrechens, um ein Ergebnis zu bekommen. So fühlt man sich jedenfalls deutlich mehr als Privatdetektiv als etwa in Judgment, wo man gar nichts selbst recherchiert. Zwar ist das Sammeln von Hinweisen an Tatorten eher banal, weil man erst alle Monster erledigt und dann einfach alles anklickt, was irgendwo markiert ist. Trotzdem sorgt das Drehen von Gegenständen samt Erkenntnissen für aktives Untersuchungsflair à la The Room.