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The Last of Us Part 2 (Action-Adventure) – Die brutale Wahrheit

The Last of Us gehört zu den besten Spielen dieses Jahrzehnts. Zwischen der brutalen Action im apokalyptischen Amerika blitzte immer wieder auf, welches dramaturgische Potenzial in Spielen steckt, welche emotionale Identifikation über glaubwürdige Beziehungen möglich ist. Fünf Jahre nach den bewegenden Ereignissen wird die Reise von Ellie und Joel fortgesetzt. Dabei geht Naughty Dog an Schmerzgrenzen. Warum sie das Erlebnis vertiefen und das Medium letztlich weiter reifen lassen, verrät der Test.
© Naughty Dog / Sony

Radikale Perspektivwechsel

Aber selbst toll inszenierte Kämpfe reichen auf lange Strecke natürlich nicht aus. Gerade als Spieler gewöhnt man sich schnell an alles Mechanische. Viel wichtiger als diese visuelle Fratze der Gewalt, die nach all den Resident Evils & Co letztlich nichts Besonderes ist, ist jedoch der gnadenlose Wechsel der erzählerischen Perspektive. Der könnte den einen oder anderen verstören. Er sorgte bei mir viel eher für unwohlige Momente als digitales Blut und Gedärme. Normalerweise bieten Spiele klare Feindbilder, der Held wird moralisch legitimiert, Gut und Böse sind nahezu bis ins Finale zementiert. Nur selten kann man einen anderen Standpunkt wirklich aus Spielerfahrung nachvollziehen.

Naughty Dog weicht nicht komplett von der Erzählweise ab – oder gar der Charakterzeichnung. Immerhin knüpfen sie an eine Geschichte an, die mit Joel und Ellie zwar weitgehend sympathische, letztlich „gute“ Figuren einführte, die aber auch schon dunkle Facetten hatten. Sie folgen diesen ausgelegten Fäden sehr souverän. Aber Neil Druckman und sein Team erzählen differenzierter, sie weben neue Fäden ein, wie z.B. Ellies Beziehung zu Dina, sie spielen auf wunderbare Art mit tradierten Klischees, auch mit Rollen- und Feindbildern. So entsteht ein vielfältiges Muster mit wichtigen Grautönen. Das ist also alles andere als „ideologische“ Schwarzweißmalerei. Und es ist einfach nur grotesk, was da mit der ersten lesbischen Kuss-Szene und vor allem mit den Leaks an abstrusen Vorwürfen aufkam – vor allem gegenüber Neil Druckman.  Also zurück zur gespielten Realität, in der…

„The Russians love their Children too…“

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Diese mutierte Kreatur kann man nicht so einfach von hinten töten… © 4P/Screenshot

…der Bodycount amerikanisch hoch ist, in der Ellie letztlich weiter überzeichnet wird, wenn sie mit „Yeah!“ und „Stirb, du Drecksau!“ ihre Kills feiert. Aber: Man reflektiert mehr, weil einem die Regie leise etwas ins Ohr flüstert. Das fängt bei Kleinigkeiten an: Man tötet z.B. keine anonymen Söldner, sie haben Namen, die ihre Feunde auch rufen, wenn sie ihre Leichen entdecken. Und manchmal findet man später heraus, wen sie geliebt haben, dass sie Kinder oder Träume hatten.

Es gibt Sadisten und Arschlöcher, aber auch Flüchtlinge und Mitläufer auf allen Seiten, die einfach Angst haben – nicht jeder Sektierer oder Fundamentalist ist ein schlechter Mensch. Trotzdem hat man ihn gerade in eine Sprengfalle gelockt. Und seinen Kumpel dazu. Das war taktisch cool. Aber dann schaut man einem Feind ins schmerzverzerrte Gesicht, der „seine Freunde niemals verraten“ würde. Hatte Ellie das nicht auch genauso gesagt? Oder war es Dina? Oder Tommy? Plötzlich meldet sich das Gewissen, klar erkennbar in Ellies Mimik – es ist fantastisch, wie Naughty Dog das Unausgesprochene damit immer wieder hörbar macht. Bei mir erklang dann dieser Song von Sting aus dem Kalten Krieg…

Dabei greift Naughty Dog offene Fragen aus dem Vorgänger auf, darunter natürlich die komplizierte Beziehung zwischen Ellie und Joel. Sie sind ja nicht biologisch Tochter und Vater, aber sie stecken psychologisch auf tragische Art in diesen Rollen. Dieses Verhältnis wird zusätzlich überschattet vom großen Konflikt des ersten Teils: Immerhin war Ellie mit ihrer Immunität die letzte Hoffnung der Menschheit. Joel hatte die Wahl, ob er sie für die Heilung der Welt opfert…