Veröffentlicht inTests

Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call (Rollenspiel) – Shin Megami Tensei: Lucifer’s Call

In Japan ist die ungewöhnliche Megami Tensei-Saga, kurz MegaTen genannt, schon seit 8Bit-Zeiten Kult. Trotzdem hat sich bisher noch kein Ableger nach Europa verirrt. Dank Ubisoft kommen mit Shin Megami Tensei: Lucifer‘s Call alias Shin Megami Tensei: Nocturne, wie es in Übersee hieß, endlich auch PAL-Spieler in den Genuss der apokalyptischen Dämonenkriege. Warum interessierte Rollenspieler Bizarres mögen und Frust aushalten sollten, verrät der Test.

© Atlus / Ubisoft

Bizarre Anime-Welt

Ansonsten glänzt die verschrobene Spielwelt aber mit jeder Menge skurriler Locations und Charaktere, die im Strudel von Mythologie, Philosophie, Ideologie und Religion eine erfrischend ungewöhnliche Stimmung erzeugen. Schade nur, dass alle Figuren immer nur wie angewurzelt in der Gegend herumstehen und auf der Weltkarte wie ihr selbst zu bloßen Symbolen degradiert werden. Das ist umso verwunderlicher, da die Welt an sich, das postapokalyptische Tokio, trotz Deformierungen durch die Konzeption sehr authentisch wirkt und viele bekannte Distriktnamen und Bauwerke beinhaltet.

Prominenter Stargast: Devil May Cry-Held Dante könnt ihr später sogar in eure Party aufnehmen.

Der verwendete Grafikstil kommt aber auch ohne aufwändige Animationen und Charaktergestaltungen gut rüber. Durch das Flat-Shading mutet die Grafik fast wie ein düsteres Anime an, auch wenn sie stellenweise doch etwas zu spartanisch wirkt und nicht ganz frei von Kantenflimmern ist. Dafür gibt es aber einen 60Hz-Modus und eine bis auf die gewöhnungsbedürftige Kamerajustierung sehr handliche Third-Person-Steuerung.

Magamtama – oder wie spritze ich mir einen Parasiten

Zudem dürft ihr euch über eine praktische Automap und eine ansehnliche Spielzeit freuen, die vom Hersteller mit 50 Stunden veranschlagt wird. Wer Spaß an der Dämonenzucht findet und alle der über hundert möglichen Originale und Kombinationen sein Eigen nennen sowie jeden optionalen Boss bezwingen und Bonus-Dungeon bewältigen will, kann aber noch weit mehr Zeit mit Lucifer‘s Call verbringen. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind jedenfalls sehr tiefgehend und der Wiederspielwert aufgrund der sechs verschiedenen Enden und des übertragbaren Dämonenkompendiums recht hoch. Auch das unkonventionelle Ausrüstungssystem, mit dem ihr eurem Protagonisten statt Kleidung und Rüstzeug spezialisierte Parasiten, so genannte Magatama, injizieren könnt, um bestimmte Resistenzen zu erzielen, Charakterwerte zu verbessern oder Talente zu erlernen, ist sehr gut gelungen.

Von allen guten Geistern verlassen: Anfangs seid ihr noch ganz allein im Dämonenreich unterwegs.

Das Leveldesign ist hingegen recht linear und wirkt mit seinem blockhaften Layout oft geradezu statisch. Auch die Oberwelt bietet kaum Platz für Erkundungen oder Überraschungen abseits der Hauptpfade, Interaktionsmöglichkeiten mit der Spielumgebung gibt es so gut wie gar keine und die meisten Charaktere wirken oberflächlich und blass.

Hausgemachtes Frustpotential

Als nervig empfand ich auch, dass man Zwischensequenzen oder Dialoge nicht abbrechen konnte, was einem besonders dann auf den Keks ging, wenn man mehrmals erfolglos versuchte, einen zähen Bossgegner zu bezwingen und bei jedem neuen Versuch immer wieder das ganze Vorgeplänkel über sich ergehen lassen musste. Ärgerlich auch, dass es in solchen Fällen keine Continue-Funktion gab und man immer wieder dazu gezwungen war, sich vom letzen Speicherpunkt, der nur selten in unmittelbarer Nähe lag, erst wieder bis zum Bossfight durchzukämpfen. Ähnlich nervig waren auch die zufälligen Talentwechsel von Dämonen, die fernab jeden Speicherpunkts einen Level aufstiegen und anschließend versuchten, ein vorhandenes Talent zu verbessern.

Trostloser Stadtrundgang: Auf der mickrigen Weltkarte gibt es nicht viel zu sehen und entdecken.

Da konnte es schon mal vorkommen, dass aus der erhofften Verbesserung des Heilzaubers ein ganz anderer Zauber wurde und man plötzlich keinen Heiler mehr in der Party hatte. Die Folgen spontaner Talentwechsel sind nämlich völlig unabsehbar und lassen sich nicht wieder rückgängig machen.

El Dorado für Dämonenzüchter

Ganz anders verhält es sich hingegen bei der ungemein motivierenden Dämonenfusion, wo ihr das Resultat eurer Schöpfung noch vor der endgültigen Bestätigung einsehen und bei Nicht-Gefallen verwerfen könnt, was aufgrund vieler durch Zufall bestimmter Merkmale geradezu ein Segen ist. Warum es diese Möglichkeit nicht auch bei den spontanen Talentwechseln gibt, ist mir völlig unerklärlich. Zumindest könnt ihr eure Dämonen bei Stadtbesuchen in ein Kompendium eintragen lassen, wodurch ihr sie bei Bedarf jederzeit gegen Bares wieder in der abgespeicherten Form auferstehen lassen könnt, denn der Platz an aktiven (bis zu drei) und passiven (bis zu neun) Mitstreitern in eurer Party ist ziemlich begrenzt. Praktischer wäre es allerdings gewesen, ein mobiles Kompendium zu haben, um flexibler auf ungewollte Veränderungen durch Levelaufstiege reagieren zu können. Alternativ hätte aber auch ein flexibleres Speichersystem viele unvorhersehbare Ärgernisse ersparen können. Vielleicht klappt‘s ja beim nächsten Mal, denn mit etwas mehr Feinschliff wäre selbst bei Lucifer‘s Call statt einer „guten“ eine „sehr gute“ Wertung drin gewesen…