Frustfreier Nervenkitzel XXL
Kann man unbegrenzt Waffen mitnehmen? Ja. Aber nur, wenn ihr den Kofferplatz für teures Geld erweitert, damit ihr Granaten, Munition, Heilkräuter sowie Waffen und ihre zahlreichen Aufsätze hineinpacken könnt: Stabilisierungsgriffe, Zielfernrohre, Wärmebildsichtgerät. Diese Begrenzung sorgt dafür, dass man nicht das ganze Arsenal von der Uzi bis zum Minenwerfer mitnehmen kann. Aber dafür tragt ihr den Koffer immer bei euch – Capcom hat komplett auf die nervigen Truhen verzichtet.
Auch die Farbbänder wurden endlich ad acta gelegt: Ihr könnt zwar nur an bestimmten Stellen speichern, aber die kommen regelmäßig vor heiklen Szenen, nach einem Kapitel. Und da ihr eine unbegrenzte Zahl an Continues habt, die sogar während eines Bosskampfs Speicherpunkte setzen, kommt nie langer Wiederholungsfrust auf. Resident Evil 4 spielt sich wesentlich angenehmer als die Vorgänger.
Aber nicht nur Frust sucht man vergeblich, auch die Langeweile hat sich erfreulich dünn gemacht – spielerisch und optisch: Das Grauen begegnet euch im Wald, auf Gebirgspässen, in Minen, in Sümpfen, in Dörfern, in Tunneln, in Schluchten, auf Zinnen, in Laboren, in Hallen, in Kerkern. Die Anzahl der Locations ist genau so unglaublich wie die herrlich interaktive und zoombare Karte, die nebeneinander gelegt ein kilometerlanges Netz an Gängen webt. Ihr fahrt auf Booten, in Lastwagen, mit Gondeln und schweren Räumfahrzeugen. Eure Zielpunkte werden immer angezeigt, so dass es kein orientierungsloses Umherirren gibt.
Seite an Seite mit Ashley
Im Duett mit Präsidententochter Ashley gibt’s noch kooperativen Nervenkitzel: Stirbt sie, ist Game Over. Sehr oft müsst ihr ihren Weg zu wichtigen Schaltern mit dem Scharfschützengewehr freischießen, während ihr selbst umzingelt werdet. Hier entwickelt man ähnliche Beschützerinstinkte wie in ICO. Zumal ihr den Teenager indirekt über die Befehle „Folgen“ und „Warten“ steuern dürft. Ihr könnt sie zudem auffangen, wenn sie Abgründe hinunter springt, und ihr eine Räuberleiter für Kletterpartien anbieten.
An einer Stelle schlüpft ihr sogar direkt in ihre Haut: Ohne Waffe müsst ihr hier schnell unter Tische kriechen und Kurbeln bedienen, während euch die Kuttenträger jagen – Hochspannung im Minirock. Habt ihr die Kontrolle mit Leon, geht sie sogar zitternd in die Knie, damit ihr über sie hinwegschießen könnt. Sie ist euch nie im Weg und gibt euch sogar mal einen Tipp, wenn zum Beispiel ein El Gigante in einer Schlucht auf euch zumarschiert.
Böses Alteuropa
Apropos „El Gigante“: Klingt Spanisch? Ist es auch. Capcom lässt die blutige Jagd von Resident Evil 4 in Alteuropa spielen und versetzt euch in die Rolle eines sportiven Amerikaners – politisch so korrekt, dass Rumsfeld das Drehbuch geschrieben haben könnte. Die Achse des Bösen rollt trotz des neuzeitlichen Szenarios zurück in ein scheinbar konserviertes Mittelalter inklusive Kastell und Kerker. Selbst den Euro haben die Japaner in ihrer finsteren Fiktion wegrationalisert.
Aber ihr spielt nicht irgendeinen Yankee, sondern Leon S. Kennedy, den Helden aus Teil 2, sechs Jahre nach der Zerstörung von Umbrella. Er soll die Präsidententochter Ashley befreien, die von einer mysteriösen Gruppierung entführt und das letzte Mal in einem spanischen Dorf gesehen wurde. Der Einstieg in diese alptraumhafte mediterrane Europa erinnert zunächst an einen gotischen Schauerroman und weckt die Neugier.
Es gibt viele Fragen, von denen die allerwichtigste den Plot bestimmt: Wer zur Hölle sind diese mordgierigen Sadisten? Zombies? Vampire? Jedenfalls zischen sie euch in tiefkehligem Spanisch an, das Capcom auch in der deutschen Fassung im O-Ton belassen und nicht untertitelt hat. Der Rest der Sprachausgabe erschallt auf Englisch, schauspielerisch durch die Bank überzeugend.

Und die Story? Konnte ich bisher die Superlative fliegen lassen und selbst Metal Gear Solid 3 in Sachen Bosskämpfen einen Zacken aus der Krone argumentieren, sind hier leisere Töne angebracht. Die erzählerische Präsentation und die Dialoge liegen eine Klasse hinter Hideo Kojimas Spiel-Film. Nicht, weil sie uninspiriert, fehlerhaft oder langweilig wären, sondern weil sie weniger deutlich den Charakter und das Beziehungsgeflecht zwischen den Protagonisten darstellen.