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Resident Evil 4 (2005) im Test: Survival-Horror in Reinkultur

Mit Resident Evil 4 feiert einer der beliebtesten Ableger des Horror-Shooters am heutigen Tag (11. Januar) ein besonderes Jubiläum. Heute vor 20 Jahren kam das von Capcom zunächst nur für den Nintendo GameCube veröffentliche Actiongame in Nordamerika auf den Markt. Der Release bei uns folgte gut zwei Monate später – und über die Jahre hinweg noch weitere Portierungen, bis hin zum gefeierten Remake im Jahr 2023.

Test Teaserbild zu Resident Evil 4
© Capcom (Adobe Photoshop [M])

11. Januar 2025: Zur Feier des zwanzigjährigen Jubiläums der Originalversion von Resident Evil 4 holen wir unseren Original-Test von 2005 aus der Feder von Jörg Luibl nochmal aus dem Archiv – inhaltlich unverändert und nur in seinem Format etwas angepasst. Wer also etwas in Erinnerungen schwelgen will: Viel Spaß!

Neuanfänge sind schwer. Vor allem, wenn es starke Traditionen gibt. Fast zehn Jahre hat Resident Evil auf dem Buckel. Die Zombies aus dem Hause Capcom gingen bereits gebückt, trugen eine schwere Last – Kameraprobleme, Steuerung, Spannungsverschleiß. Aber Japans Horrormeister schlagen zurück: Sie schneiden die alten Zöpfe ab. Und siehe da: Schnipp, schnapp und es hat Krawuuum gemacht!

Resident Evil 4: Mrs. Schrotflinte

Sie sieht sexy aus. Sie ist rappelvoll. Sie fühlt sich verdammt gut an. Gerade jetzt, kurz bevor die Party steigt. Ah, da kommen ja die Gäste! Gleich mehrere Türen öffnen sich, langsam schlurfen lüsterne Kuttenträger herein. Ihre Augen glänzen glasig, ihre Blicke funkeln gierig. Und sie haben alle etwas mitgebracht: Scharfe Äxte, rostige Mistgabeln, wuchtige Kettenkeulen – einige konnten sich sogar Molotow-Cocktails und Feuerarmbrüste leisten. Na dann, begrüßen wir sie mit Lady Pumpgun…

Screenshot aus dem Original Resident Evil 4 von 2005
Alles fängt mit einem wölfischen Grinsen an. Und es hört meist mit gefletschten Zähnen auf… Credit: Capcom (Screenshot | 4P)

…dreizehn Schrotladungen, viele versaute Tapeten und sechs blutig spritzende Rümpfe später neigt sich die qualmende Projektil-Orgie dem Ende. Nur einer hat trotz durchlöchertem Brustkorb noch nicht genug: Er rafft sich stöhnend auf, humpelt Zähne fletschend auf mein heiß geschossenes Babe. Aber was ist das? Es macht nur Klick – Mist: keine Munition mehr! Bevor ich Messer oder Pistole zücken kann, sehe ich das aufgerissene Maul, spüre ich den Biss im Nacken. Wie kann ich das überleben?

Höllentrip für harte Jungs

Jetzt heißt es: Analogstick hin und her rattern, damit mir der Wahnsinnige nicht den Hals zerfetzt. Die Kamera zoomt so nah ran, dass man seine Zähne fast spüren kann. Das blutrote Schmatzen und das Absinken der Energieleiste sorgen für eine panisch engagierte Rüttelfrequenz. Endlich ist er abgeschüttelt. Und dann? Ran an den Mann, bis der A-Knopf blinkt!

Ähnlich wie bei Shenmue fordert Resident Evil 4 in vielen Situationen Quick-Time-Reactions: Plötzlich erscheinen Buttons auf dem Bildschirm, manchmal sogar in Kombination oder gemein gestaffelt hintereinander, die ihr sofort drücken müsst. Ist man schnell genug, kann man in diesem Fall einen wuchtigen Karatekick ansetzen und schon brechen Knochen und Feind ganz kross zusammen, bevor sie sich in einer zischenden Lache auflösen. Ich liebe dieses Geräusch. Genau so wie das Nachlade-Klacken des Karabiners, das Donnern des Revolvers, das Plöppen des Minenwerfers, das rauchige Zischen des Raketenwerfers.

Ob ich krank bin? Nein, nur fasziniert. Mittendrin im blutigsten, packendsten und intensivsten Survival-Horror-Abenteuer meiner Zocker-Vita. All diese martialische Waffenakustik signalisiert mir, dass ich den Schrecken überleben kann, den Capcom mit gnadenloser Deutlichkeit über fünf Kapitel plus Finale hinweg inszeniert. Macht diese Gewaltorgie Spaß? Verdammt noch mal ja! Ich hab’s in der Hand.

Ich kann mich wehren. Es ist einfach ein befriedigendes Gefühl, die Wärme eines Raketenwerfers auf der Schulter zu spüren, wenn ein Fleisch gewordener Alptraum die Mattscheibe verdunkelt und mit einer zentnerschweren Axt auf mich zu stampft. Er stellt mir eine existenzielle Frage, ich habe eine feurige Antwort. Das morbide Spiel zwischen Jäger und Gejagtem kann beginnen.

Schreckliche Würfelpower

Resident Evil 4 sorgt für ein Stakkato an Adrenalin-Kicks. Und das auf dem GameCube. Ja, auf diesem kleinen Würfel mit all seinen kunterbunten Kinderspielen gibt’s nach Eternal Darkness endlich wieder einen echten 3D-Höllentrip für harte Jungs mit großem Monsterhunger. Zombies? Schnee von gestern. Aber ich trauere den Untoten nicht nach, denn die Kreaturen hier sind intelligenter, rotten sich zusammen und wirken aufgrund ihrer menschlichen Tätigkeiten noch gefährlicher: Sie hüten Vieh, gehen in die Kirche, bedienen Katapulte.

Auf der Speisekarte stehen grölende Dörfler, irre Frauen, fliegende Insektoide, fleischige Tentakel, sadistische Leder-Hünen, mutierte Monstren und mächtige Seeungeheuer. Zwischendurch gibt’s böse Bärenfallen, zermalmende Felsblöcke und später fiese Laserschranken mit Brutzelgarantie. Wie man die überwindet? Einfach ein paar Flikflaks über mehrere sekundengenaue Quick-Time-Reactions aufs Parkett legen. Jede gelungene Aktion wird sofort von einem akrobatischen Filmschnipsel belohnt – klasse! Die Herausforderungen und das Gefühl der Bedrohung wachsen mit jeder der satten 20 Spielstunden, bevor es kurz vor dem Finale noch mal richtig knistert. 

Wer alles erforscht, darf eine Handvoll Stunden hinzuzählen – das ist für dieses Genre rekordverdächtig. Aber nach dem Finale ist (nur in der US-Version) nicht Schluss: Hier könnt ihr eine bisher unbekannte Episode der Story mit einer anderen Figur nachspielen oder in Zeitlimit-Shootouts vier neue Charaktere für Arenakämpfe freischalten. Diese beiden coolen Modi sind in der deutschen Fassung aufgrund des Einschreitens der USK nicht enthalten. Zwar ist die hiesige Fassung nicht geschnitten, aber dadurch nach dem ersten Durchspielen einen Tick unattraktiver. Aber das schmälert nicht die anderen Höchstleistungen, die man auf den ersten Blick erkennt.

Screenshot aus dem Original Resident Evil 4 von 2005
Capcom holt die Fratze der Horrors ganz nah ran. So nah, dass man die Zähne dieses Wahnsinnigen fast spüren kann. Credit: Capcom (Screenshot | 4P)

PC-, PS2- und Xbox-Puristen müssen jetzt ganz stark sein: Resident Evil 4 rockt architektonisch, animationstechnisch und atmosphärisch alles weg, was ich bisher gesehen habe. Egal ob wabernder Nebel oder staubig flirrende Lichtschächte, egal ob sengendes Kaminfeuer oder prächtig verzierte Stuckdecke. Ich fang jetzt gar nicht vom Kerzenlicht an, oder vom bewegten Himmel. Dann gibt es da eine Szene mit windgepeitschten Vorhängen in einer Säulenhalle, die wie blutrote Zungen in den Flur zischeln – dagegen sieht selbst Splinter Cell alt aus. Hier bin ich minutenlang staunend hin und hergelaufen und hab den kleinen Würfel misstrauisch nach bisher unbekannter Hardware abgetastet. Und ihn sicherheitshalber angekettet.