Grandioser geht nicht!
Oder nehmen wir die verblüffend lebensechten Bewegungen der Dorfbewohner: Sie zucken zusammen, halten sich die Hände vors Gesicht, gehen schmerzverzerrt in die Knie oder täuschen linkisch eine Attacke an, bevor sie plötzlich die Richtung wechseln – die sehen nicht mehr aus wie animierte Figuren, sondern wie echte Menschen. Sie kommen erst langsam näher, dann stürzen sie sich auf euch, rammen euch Mistgabeln in den Leib, während sie euch hasserfüllt anstarren. Diese Augen sind es, die einem Angst einjagen.
Bemerkenswert sind auch die lebensechten Reaktionen: Ihr zielt mit dem roten Laser zwischen die Brauen eines heranschlurfenden Axtdörflers, er bemerkt es und weicht schnell nach links aus! Sie werfen Granaten, sie verstecken sich hinter Schilden, klettern Leitern hoch. Dagegen wirken die Zombies früherer Spiele wie hölzerne Dummys. Zwar lässt die Intelligenz der Gegner in Sachen Deckungsverhalten zu wünschen übrig, aber das hat erzählerische Ursachen.
Man fühlt sich ständig von allen Seiten bedroht, steht wie in den Vorgängern einer schier endlosen Übermacht gegenüber. Gerade deshalb feiert man jeden Kopfschuss, jeden explodierten Schädel. Allerdings ist nicht immer ganz klar, wann man darüber jubeln kann: Manchmal führt ein gezielter Treffer zwischen die Augen dazu, manchmal braucht man gleich drei davon oder kann auch woanders treffen.
Abwechslungsreicher als Doom 3, bombastischer als Halo 2
Hier wirkt das Schadenssystem etwas inkonsequent. Unverständlich ist auch, dass man am Boden liegende Gegner nicht mit einem gezielten Messerstich töten kann, sondern dass man wenig elegant über ihnen rumfuchteln muss – hier hätte ein Finisher-Move gepasst. Zumal der Rest an Kicks & Co. auf Martial Arts-Niveau inszeniert wird.
Das ist jedoch alles Krimskrams. Denn dafür lässt sich tatsächlich jede auf euch zufliegende Axt, jedes sausende Messer mit einem gezielten Schuss in der Luft ablenken – genial! Insgesamt ist die Kulisse einfach großartig. In Metroid Prime 2 hat Nintendos Hardware schon die Muskeln spielen lassen, aber hier gibt’s olympisches Posen.
Man kann über eine Textur hier und da streiten, auch über die sich wiederholenden Gesichter der Dorfbewohner – kein Thema. Aber: Es ist in Sachen Level-Design wesentlich abwechslungsreicher als Doom 3, in Sachen Raumgestaltung dichter und bombastischer als Halo 2 und selbst Metal Gear Solid 3 in seiner Paradedisziplin überlegen: den Bosskämpfen.
Resident Evil 4 bietet Bosskämpfe aus der Hölle
Die kleine Pumpgun-Orgie von oben ist nichts im Vergleich zu diesen famosen Showdowns. Dabei geht es nahtlos vom Film ins Spiel über. Capcom befindet sich hier auf einem Niveau mit Konamis hollywoodreifen Drehbuchmeistern. Aber im Gegensatz zu Metal Gear Solid 3 seid ihr hier von Anfang an als Spieler mittendrin, müsst während der Filme reagieren. Aufgrund dieses Mittendrin-Gefühls fiebert man mit jeder Sekunde mit, die Finger immer zittrig am Controller.
Denn die Antagonisten haben es in sich. Angefangen bei muskelbepackten Hünen mit zugenähten Augen, die bei jedem Geräusch ihre langen Klauen ausfahren und euch nach Gehör jagen: Bedient ihr eine Glocke, rammen sie ihre Stahlklingen dort tief in den Beton.

Es geht weiter über Bildschirm füllende Skorpion-Ungetüme, Messer kämpfende Elite-Soldaten und Fleischriesen, die Tolkiens Oger mit ihren mächtigen Pranken zu Witzfiguren degradieren: Sie zerquetschen und zertrampeln euch wie Fliegen. Ihr müsst im richtigen Moment auf ihren Nacken spurten, um euer Messer schnell über A-Knopf-Gehämmer hinein zu rammen. Manchmal braucht man drei Anläufe, um einen „El Gigante“ zu Fall zu bringen. Capcom serviert euch auch mal welche im Doppelpack in einer engen Arena mit wabernder Lavagrube – ich hab geschwitzt wie ein Schwein.
Solche Momente vergisst man nicht. Und es gibt viele andere Szenen, die sich aufgrund ihrer intensiven Darstellung einbrennen: Da ist ein dunkler Gang. Licht flackert. Die Musik hallt metallisch wie in Silent Hill 2. Ein Röhrensystem zieht sich wie eine düstere Autobahn an der Decke entlang. Und dann kommt etwas. Es ist schnell, klettert mühelos an Wänden. Es geifert, zischt und hat Klauen. Alien lässt grüßen. Doom 3 lässt grüßen.
Oder eine andere: Man wird verfolgt. Mehrere Dutzend Fanatiker wollen euch und Spanier Luis lynchen. Da ist ein Haus. Man stürmt zusammen hinein. Man verbarrikadiert Türen und Fenster. Man sitzt in der Falle. Dann bersten die ersten Scheiben, brechen die ersten Türen. Rücken an Rücken versucht man, den blutrünstigen Mob aufzuhalten. Kennt ihr Butch Cassidy und Sundance Kid? Dieses Wir-gegen-alle-Gefühl? Capcom nutzt die ganze Klaviatur des heroischen Kampfes. Aber nicht piano, sondern fortissimo.