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NieR Replicant ver.1.22474487139… (Rollenspiel) – Yoko Taros große Fantasy-Oper

Kainé, Emil, Weiss und andere: Das sind Namen, die man in Erinnerung behält. Denn mit ihnen hat Kreativkopf Yoko Taro einzigartige Charaktere geschaffen, die wie keine zweiten sind. Deren Geschichten so außergewöhnlich und gleichzeitig so menschlich sind, dass man nicht anders kann als sie ins Herz zu schließen. Egal, ob ihr Nier im Jahr 2010 gespielt habt oder es als Nier Replicant ver.1.22.474487139… zum ersten Mal erlebt: In unserem Test lässt die Neuauflage das große Abenteuer in neuem Glanz wiederauferstehen – trägt aber noch immer auch alte Schwächen in sich.

© Square Enix und Toylogic / Square Enix

Abwechslung wird ohnehin groß geschrieben, wenn man an anderen Stellen kleine Kistenrätsel löst, sich durch eine Art Text-Adventure knobelt, den Helden wie in einem Plattformer von der Seite oder über feste Kameraperspektiven durch ein an Resident Evil erinnerndes Herrenhaus steuert. Nicht nur erzählerisch, auch spielerisch sind viele Momente in Nier also einzigartig – was gleichzeitig allerdings bedeutet, dass sie oft nicht so ausgereift sind wie ihre Vorbilder. Aus einer hohen Vogelperspektive geht etwa viel Übersicht verloren, während die Bullet-Hell-Momente in einem auf diese Art Action spezialisierten Returnal wesentlich besser funktionieren.

Mächtige Magie

Als gelungen empfinde ich das Individualisieren der Waffen und magischen Fähigkeiten, denn fügt man ihnen bis zu zwei Modifikationen hinzu, entscheidet man sich z.B. für eine höhere allgemeine Durchschlagskraft oder das schnellere Zerschlagen feindlicher Rüstungen. Das Wiederaufladen der Zauber kann man ebenfalls beschleunigen. Oder soll es lieber weniger Schaden durch feindliche Geschosse sein? Auch das ist nichts weltbewegendes, aber spätestens dort hilfreich, wo man schnell zwischen zwei Schwertern wechselt, von denen eines effektiv Rüstungen zerstört und das andere den Schatten schneller den Rest gibt.

Richtig gut gefällt mir auch die Magie bzw. die Art und Weise, mit der man sie selbst ins Spiel einbindet. Immerhin belegt man die vier Schultertasten mit beliebigen Zaubern sowie Ausweichrolle und Block – je nachdem, was man in welcher Situation benötigt. Zusätzlich hat Toylogic die magischen Fähigkeiten erweitert, sodass man Gegner nun zuverlässig aufspießt oder mit dem Aufstellen eines stationären Schilds vom Helden ablenkt. So wirft man sie leichter auf den Boden, um ihnen mit einem Finisher zuzusetzen, oder bearbeitet sie in Ruhe von hinten, während sie mit dem Schild beschäftigt sind. Würde das die Kämpfe nur nicht zusätzlich vereinfachen! Hat man ihre Schwachstellen einmal raus, ist es oft geradezu absurd leicht die Angreifer zu besiegen. Das hat mich vor allem in der zweiten Hälfte des Abenteuers doch sehr enttäuscht.

Von Garten, Hof und See

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Nier ist kein technisches Meisterwerk – im Gegensatz zu damals aber ein sehr schönes Spiel. © 4P/Screenshot

Zum Glück ist Nier aber nicht nur Action-Adventure, sondern auch Rollenspiel, und macht in diesem Bereich vieles richtig – wenn auch hier nicht alles. So bestehen die Innenbereiche mancher Abschnitte aus vielen sich gleichenden Räumen, in denen man es stets mit den gleichen Gegnern zu tun bekommt und die man noch dazu mehrmals besuchen muss. Und obwohl Sammel- sowie Paketmissionen nicht ausarten, besteht Nier aus einer durchaus bemerkenswerten Anzahl reiner Fleißaufgaben. Abgesehen davon verlaufen nahezu alle Missionen so ab, dass man die Auftraggeber anklickt, etwas irgendwo hin bringt oder tötet, um im abschließenden Dialogfenster Rapport zu erstatten. Filmszenen oder wenigstens besondere Animationen gibt es dann nicht und selbst wenn zwischen dem Anfang und dem Ende einer Unterhaltung mehrere Tage vergehen, wird das lediglich durch eine Schwarzblende kundgetan, bevor alle Figuren am selben Fleck weiterreden.

Dafür trifft man viele Auftraggeber mehrmals und lernt sie dadurch kennen. Einige Händler sind nicht nur Einkaufsmöglichkeiten, sondern auch an kleine Geschichten gebunden. Und dass eine Person im heimatlichen Dorf nicht direkt Aufträge verteilt, sondern lediglich weiß, wo jemand Unterstützung sucht, hilft ebenfalls dabei ein glaubwürdiges Umfeld zu schaffen. Nicht zuletzt besteht die gesamte Umgebung zwar aus durch Ladepausen getrennten Abschnitten, stellt aber einen zusammenhängenden Schauplatz dar, in dem nebeneinanderliegende Gebiete tatsächlich aneinander anschließen. Man darf jagen, angeln sowie Gartenbau betreiben und den Fang bzw. die Ernte für gutes Geld verkaufen, um davon Waffen und anderes zu erwerben. Das muss man (abseits bestimmter Nebenmissionen) nicht tun! Weil es meist schnell gemacht ist, lasse ich mich aber gerne darauf ein.

Nun sind das natürlich Kleinigkeiten, die auch in anderen Spielen selbstverständlich sind. Weil Taro aber an sehr viele solcher Kleinigkeiten gedacht hat, fühlt sich seine Welt nach einem „realen“, beständigen Ort an.