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NieR Replicant ver.1.22474487139… (Rollenspiel) – Yoko Taros große Fantasy-Oper

Kainé, Emil, Weiss und andere: Das sind Namen, die man in Erinnerung behält. Denn mit ihnen hat Kreativkopf Yoko Taro einzigartige Charaktere geschaffen, die wie keine zweiten sind. Deren Geschichten so außergewöhnlich und gleichzeitig so menschlich sind, dass man nicht anders kann als sie ins Herz zu schließen. Egal, ob ihr Nier im Jahr 2010 gespielt habt oder es als Nier Replicant ver.1.22.474487139… zum ersten Mal erlebt: In unserem Test lässt die Neuauflage das große Abenteuer in neuem Glanz wiederauferstehen – trägt aber noch immer auch alte Schwächen in sich.

© Square Enix und Toylogic / Square Enix

Bei aller Liebe muss ich außerdem sagen, dass zumindest manche erzählerische Entwicklung seltsam überhastet wirkt, wenn sie binnen weniger Sekunden viel zu knapp abgehandelt wird. Spätestens in Verbindung mit Emils wenigen, dann aber oft maßlos pathetischen Monologen finde ich das recht schwer zu ertragen. Wenn ihn ein absolut furchtbares Ereignis völlig am Boden zerstört, nur damit er Sekunden später verkündet, dass das doch eigentlich ganz okay für ihn sei, komme ich da ehrlich gesagt nur mit zusammengebissenen Zähnen durch.

Ärgerlich finde ich noch, dass bei abgeschalteten Untertiteln nicht einmal Dialoge in Fantasiesprachen untertitelt werden, denn so entgehen einem schon mal wichtige Informationen. Dafür ist in der Neuauflage nicht nur englische, sondern auch japanische Sprache enthalten, wofür ich als O-Ton-Freund sehr dankbar bin.

Die Videospiel-Oper

Und apropos Ton: Auf keinen Fall darf man die famose Musik von Keiichi Okabe vergessen, der für Nier womöglich den Soundtrack seines Lebens geschrieben hat! Fast jeder Moment wird ja von eindringlichen Melodien begleitet, die so eindeutig zu Nier gehören wie nur wenige Themen zu einem Spiel. Sie tragen die Melancholie, das Kämpferische sowie die vielen persönlichen Augenblicke der Sehnsucht oder Trauer ebenso wie das schwungvolle Erkunden einer großen Welt.

Weil viele Stücke dabei von Gesang begleitet werden, erinnert das Abenteuer gar an eine erhabene Oper. Viele Szenen sind dank der starken Kompositionen erst denkwürdig, viele Figuren durch sie erst stark und ich musste oft an Star Wars denken, das ohne John Williams ebenfalls großartige Science-Fiction wäre – vielleicht aber kein so wesentlicher Teil unserer Popkultur.

Neue Inhalte – kleine Spoiler



Während Square Enix das Spiel inhaltlich im Grunde unverändert modernisieren ließ, enthält ver.1.22… doch kleine erzählerische Ergänzungen, darunter eine komplett neue Episode im zweiten Teil des Abenteuers.

Weiterhin hat Yonahs Vater einen Gastauftritt in den damals als Downloadinhalt veröffentlichten Herausforderungen. Diese stehen nach dem ersten Durchspielen zur Verfügung – ebenso wie zusätzliche Kostüme sowie die Möglichkeit, statt des eigentlichen Soundtracks Musik aus Nier: Automata zu verwenden.

Einzelheiten zu diesen Inhalten findet ihr in unseren News. © 4P/Screenshot

Hatte ich vor elf Jahren dabei manchmal noch gedacht, dass das eine oder andere Thema durchaus erdrückend wirken kann, wenn es im knappen Rhythmus ständig wiederholt wird, wurde die Musik für ver.1.22… behutsam überarbeitet. Keine Sorge: Es ist immer noch der gleiche Soundtrack. Variationen sowie sanfte Übergänge ergänzen ihn aber so, dass sich die neu arrangierten Melodien jetzt harmonischer ins Geschehen einfügen. Im schlimmsten Fall kann man die geliebte Musik somit in besserer Qualität und mit zusätzlichen Variationen genießen – behutsamer hätte man diese Ohrwürmer nicht neu auflegen können!

Eine Verjüngungskur im doppelten Sinn

Sprache und Musik wurden also leicht erweitert und neu aufgenommen, doch was wurde abseits davon verändert? Immerhin haben Taro und Square Enix die Bezeichnungen Remake und Remaster stets gemieden – und zwar aus gutem Grund. Auch wenn diese Begriffe im Bereich der Videospiele ohehin nicht klar definiert sind, entspricht das neue Nier nämlich keinem der beiden. In gewisser Weise ist es ja immer noch das gleiche Spiel: Der Aufbau der Kulissen entstammt dem Original, weshalb die bekannten Areale nach wie vor als separate Abschnitte durch Ladepausen voneinander getrennt sind. Auch Filmszenen sind im Grunde genau so, wie man sie kennt.

Alle Figuren wurden stilistisch allerdings an den Nachfolger Nier: Automata angepasst und die Hauptfigur ist diesmal nicht Yonahs Vater, sondern ihr Bruder. Das war im japanischen Original schon so und ich war gespannt darauf, wie sich die Änderung anfühlen würde. Der Unterschied ist viel kleiner, als ich befürchtet hatte, was u.a. daran liegt, dass ich mich emotional vor allem mit den Begleitern des Helden verbunden fühle, weniger mit dem Alter Ego selbst.