Das gelungene Kampfsystem
Zu den potenziellen Stärken von Kingdom Come gehört auch das Kampfsystem, das entfernt an jenes aus For Honor erinnert, aber noch deutlich gnadenloser ist und vor allem die Überzahl realistischer einbezieht – falls die KI nicht mal wieder seltsam dämlich agiert. Erstens kann man während der Gefechte nicht einfach Heiltränke oder was anderes einschmeißen, sondern muss da durch. Zweitens hat man in der Regel kaum eine Chance, wenn man zwei, drei gut bewaffneten Feinden gegenüber steht, denn die reihen sich nicht brav ein, sondern hauen gleichzeitig drauf. Zwar wirkt es ohne Waffen, also lediglich mit Fäusten, Gerangel und Tritten etwas träge. Aber sobald es mit Klingen, Äxten & Co zur Sache geht, entfaltet es seine Potenziale, die über gewöhnliche Mechaniken hinaus gehen.
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Was ist das Besondere? Es geht schon mit den Voraussetzungen los: Jeder Kämpfer hat je nach Rüstung andere verwundbare Punkte. Aber ist die auch in Schuss? Ein abgenutztes Kettenhemd schützt weniger stark. Es gibt keinen allgemeinen Defensivwert, sondern sechzehn Bereiche, darunter Kopf, Arme, Beine mit jeweils linker und rechter Seite; hinzu kommt vielleicht ein Schild. Man kann seine Kleidung zudem in mehreren Schichten anlegen, um sich je nach Material wie Leinen, Wolle, Leder, Ketten oder Platte besonders gegen die drei Schadenstypen Stich/Hieb/Wucht zu schützen – ein Dolch liegt z.B. bei 13/13/13, während ein Kurzschwert bei 50/40/2 liegt. Ärgerlich ist jedoch, dass der Wertevergleich beim Wechsel von Klingen oder Kleidung teilweise kaputt ist und man mit falschen Statistiken hantieren muss. Sehr cool ist es wiederum, wenn das Visier runter geht und die Egosicht etwas eingeschränkt wird! Schade ist vielleicht, dass die letzte physikalische Konsequenz fehlt, denn Gliedmaßen kann man nicht abtrennen – aber das ist verschmerzbar, zumal es hier auch Blutungen gibt. Sprich: Dann muss man sich bandagieren, um nicht langsam zu sterben.
Ob ich gegen jemanden mit Pike, Schwert oder Streitkolben kämpfe, ist aber genauso relevant wie seine Rüstung. Einen Banditen in Wolljacke kann man schneller besiegen als einen Raubritter in voller Montur. All das führt dazu, dass man sich gut überlegen muss, womit und wo man zuschlägt. Die Wucht der Axt eignet sich besser gegen die Plattenrüstung als der Stich eines Rapiers. Wie läuft das genau ab? In Echtzeit über ein Zielsystem, symbolisiert durch einen fünfzackigen Stern, wobei jeder Schlag auch Ausdauer verbraucht – man kann nicht wild und lange zuschlagen.
Schild, KI und Finte
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Mit dem Analogstick kann ich aktiv oben, links, rechts, unten links oder unten rechts anvisieren, während ich meinen fixierten Gegner umkreise und dann zuschlage oder zustoße bzw. -steche. Mit dem Schild kann man einfacher blocken als z.B. mit einem Streitkolben, aber man muss auch in der Defensive die richtige Richtung finden, also auf die Haltungen des Gegenübers reagieren, was der KI übrigens meist gut gelingt. Aber es gibt auch eine Art Reaktionstest, der zwar etwas arcadig wirkt, aber den Spielfluss fördert: Wenn man es schafft, einen Schlag genau zur rechten Zeit zu parieren oder geduckt auszuweichen, bekommt man die Gelegenheit zu einer Riposte, dargestellt durch eine kurze Zeitlupenphase – auch das nutzt die KI! Dieser Gegenschlag ist zwar nicht wie in Dark Souls tödlich, aber sorgt für deutlich mehr Schaden. Schön ist auch, dass man mit der Finte Angriffe in eine Richtung antäuschen und diese dann schnell wechseln kann. Außerdem reichen manchmal zwei, drei Pfeile aus nächster Distanz, um einen Feind zu besiegen, zumal Kopftreffer deutlich mehr Schaden anrichten.
Wenn man sich an das Zielsystem gewöhnt hat, entwickeln sich taktische Gefechte, wobei es sehr lobenswert ist, dass es nicht bis zum Tod gehen muss: Feinde ergeben sich bei schweren Verletzungen, so dass man die Wahl hat, ob man sie frei ziehen lässt, Geld verlangt, ihre Waffen nimmt oder doch zum Todestoß ansetzt; auch selbst kann man in die Hocke gehen und um Gnade bitten – was gerade zu Beginn auch systemisch die klügere Variante sein kann; Stichwort: Speicherbug. Trotzdem
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wirken die Kämpfe nicht immer authentisch, zumal es einige Brüche im Ablauf gibt, so dass selten elegante Choreografien entstehen. Peinlich wird es, wenn die KI einen tatsächlich ohne Waffe angreift oder wenn Feinde in Überzahl komplett versagen: Als ich es mit sechs Banditen zu tun habe, dürfte ich keine Chance haben, doch sie verhalten sich komplett dämlich, zücken ihre Waffe nicht, teilen sich ungeschickt auf, zwei rennen wie Roboter weg und als der Bogenschütze mich ins Visier nimmt, schießt er zwar zuerst noch, so dass ich meinen Schild hebe und mich schon zurückziehen will. Aber dann visiert er nicht mehr mich, sondern tatsächlich die Hasen (!) vor ihm an und jagt sie mal eben…autsch.
Ärgerlich ist, dass die Zielumschaltung bei mehreren Feinden sehr wankelmütig ist; so bekommt man schnell eins auf die Mütze, weil der Gegner nicht fixiert ist. Das Chaos kommt dem Hauen und Stechen des Spätmittelalters vielleicht näher, aber man darf nicht vergessen, dass es auch damals feste Rituale, Haltungen und Schritte für den Kampf Mann gegen Mann gab. Die werden immerhin in den Arenasituationen einigermaßen spürbar. Wer sich in der Charakterentwicklung auf den Kampf konzentriert, kann aber auch Kombinationen freischalten, so dass sich mehrstufige Manöver einleiten lassen. Zwar wirkt das in der Visualisierung nicht immer realistisch, wenn man mit dem Bidenhänder austeilt oder mit dem Langschwert auf einen Schild haut, aber deutlich authentischer als in den üblichen Arcade-Gefechten. Leisetreter können übrigens von hinten angreifen: Man kann seine Opfer sowohl per Stealth-Kill sofort töten als auch bewusstlos schlagen. Man hat auch die Wahl, ob man z.B. ein Lager infiltriert oder sabotiert – die sechs Banditen hätte ich auch über ihren Topf oder Wein vergiften können.