Aus Vorfreude wird Kaufwarnung
Schon in der Vorschau habe ich dieses ambitionierte Projekt aus Tschechien gelobt, aber war noch nicht sicher, ob man es auch nachvollziehbar einleiten würde, ob man das persönliche Schicksal glaubhaft mit den Wirren des Bürgerkriegs verknüpfen könnte – das hat man geschafft, zumal die deutschen Sprecher ebenso überzeugen wie die gut geschriebenen Dialoge. Die Rede von Burggraf Diwisch vor dem Stellvertreter König Sigismunds, der kurz vor dem Angriff steht, ist sehr überzeugend und sorgt für eine glaubwürdige außenpolitische Atmosphäre, in der es nicht um einen Kampf der Kulturen oder Nationen, sondern einzig und allein um Machtinteressen einzelner Fürsten geht. Schön auch, dass das Schisma der Kirche sowie die Schlacht von Nikopolis mit Veteranen nebenbei thematisiert wird – all das erzeugt einen glaubwürgigen Rahmen.
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Ich habe mich als studierter Historiker und Rollenspieler sehr auf diesen authentischen Ansatz gefreut, der übrigens immer noch ein Abenteuer rund um Rache und keine mitelalterliche Lebenssimulation inszenieren will – dafür scheitert das Spiel auch viel zu oft am Alltäglichen, denn der Kontakt mit anderen Figuren wirkt manchmal zu künstlich und robotisch. Zwar kann man sein Schwert in einem Minispiel aktiv schleifen, Essen verdirbt und es lassen sich viele Tränke brauen, doch es geht weder um simulierte Arbeit noch wirklich reale Zustände. Das ist auch egal: Man wollte das Spätmittelalter schließlich in vielen Facetten nachahmen.
Und das gelingt den Warhorse Studios sowohl visuell als auch hinsichtlich der politischen Ausgangssituation, die die verworrene Machtsituation des Jahres 1403 recht gut widerspiegelt – mehr dazu in unserer kleinen historischen Einführung in zwei Teilen. Zum anderen gelingt dem Team um Daniel Vávra in vielen kulturellen Bereichen durchaus ein ferner Spiegel: Man fühlt sich manchmal nicht nur anhand von Architektur, Kleidung und Bewaffnung, sondern auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Hierarchien sowie Sitten und Gebräuche zurückversetzt ins alte Böhmen. Auch die von Beginn an spürbare Kritik an der Kirche passt wunderbar in diese Zeit. Zwar gibt es auch einige Abstriche, die diese historische Immersion immer wieder empfindlich stören, aber das Kampfsystem kann wichtige Akzente setzen, die einem realen Hauen und Stechen näher kommen als die üblichen Arcade-Gefechte.
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An dieser Stelle würde ich sehr gerne mit Szenen beginnen, die Schwertkämpfe, kreative Aufgaben sowie das Spielgefühl beschreiben – die Liste meiner Pluspunkte ist sehr lang. Ich werde dazu auch noch einiges sagen, denn das tschechische Team hat in einzelnen Bereichen so viel richtig gemacht, dass sich so manches „moderne“ Rollenspiel eine Scheibe abschneiden könnte.
Allerdings ist die Liste der Kritikpunkte fast genauso lang, so dass von gewissenhafter Qualitätssicherung keine Rede sein kann. Kingdom Come: Deliverance spielt sich trotz der fast fünf Jahre Entwicklung und trotz des über 20 Gigabyte (!) großen Patches manchmal wie eine Beta. Deshalb muss es jetzt auch in diesem Test zu einem Bruch kommen, der angesichts des Potenzials dieser Spielwelt empfindlich schmerzt. Denn es ist einfach nur frustrierend, wenn man durch Abstürze oder Fehler immer wieder aus diesem Abenteuer heraus gerissen wird. Vor allem auf Konsolen muss ich derzeit vor einem Kauf warnen.
Zu viele Defizite trotz Patch
Wurde im Einstieg aufgrund der guten Regie und gelungenen Dialoge noch viel an Vorfreude geweckt, dominierten irgendwann nach zwanzig Stunden die Flüche auf der Couch – zu wankelmütig und brüchig wurde das Spielerlebnis. Kaum erlebte ich eine harmonische Stunde zu Pferd, im Wald oder in der Schenke beim Würfeln, wurde ich in wichtigen Quests wieder von KI-Slapstick, Logikfehlern oder einem Bluescreen ernüchtert. Und an Abstürze auf der Konsole kann ich mich absolut nicht gewöhnen – das geht gar nicht! Auf dem Rechner gab es bisher keinen Absturz, weshalb wir eine ganze Schulnote höher werten. Aber auch dort sorgen viele ärgerliche Fehler dafür, dass die Tugenden überdeckt werden, die dieses Rollenspiels so potenziell glänzen lassen könnten.
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Es geht nicht nur um Kleinkram, also um Rollrasen oder Clippingfehler, weil Figuren ineinander oder in Mauern stehen. Oder dass sich die Mütze des sechs Meter entfernten Müllers erst nach zwei Metern materialisiert. Hinzu kommt neben Bildratenproblemen und langen Ladezeiten auf allen Systemen eine unheimlich schlechte Tonabmischung, wenn es plötzlich so leise wird, dass man ohne aktivierte Untertitel rein gar nichts versteht. Wie kann das keinem bei der Prüfung auffallen? Manchmal wird trotz sehr gelungener Lokalisierung ins Englische gewechselt, lippensynchron ist auf Deutsch zwar nichts, aber das ist nicht schlimm. Trotz der angeblich so vielen „Makro- und Mikro-Details der CryEngine“ können weder Mimik noch Gestik oder Animationen mit aktuellen Triple-A-Abenteuern der Marke Uncharted 4 oder Horizon Zero Dawn mithalten. Und die Kamera bewegt sich in Dialogen manchmal so unglücklich hinter oder gar in Köpfe oder Mauern, dass der Gesprächspartner nicht erkennbar ist. Selbst all das wäre verschmerzbar, weil Kingdom Come immer noch ansehnlich und stimmungsvoll genug ist, aber dabei bleibt es nicht.