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Horizon Zero Dawn (Action-Adventure) – Ronja Maschinentochter

Als Guerrilla Games vor zwei Jahren Horizon Zero Dawn ankündigte, konnte man die Nervosität von Sony spüren. Kein Wunder, denn die bisher für den Shooter Killzone verantwortlichen Niederländer wagten sich nicht nur in die von Grand Theft Auto, Assassin’s Creed, Far Cry & Co dominierte offene Welt, sondern wollten eine Art apokalyptische Steinzeit mit Pfeil, Bogen und Maschinen inklusive weiblicher Heldin inszenieren – das irritierte sogar den Sonychef. Ob dieses riskante Abenteuer auf PlayStation 4 überzeugen kann, verrät der Test.

© Guerrilla Games / Sony

Rollenspiel in der Luft

Es ist erstaunlich, dass schon sehr früh ein charmantes Rollenspielflair spürbar wird: Wenn sich die Leute z.B. nach Aloy umdrehen, wenn man ihre Kommentare hört oder selbst einfache Nebencharaktere ansprechen kann. In den gut geschriebenen Dialogen kann man nicht nur nachfragen und so mehr über die Spielwelt erfahren, sondern muss sich auch manchmal entscheiden, ob man eher rational, verständnisvoll oder wütend reagiert. Meist dient das nur der eigenen situativen Interpretation von Aloys Charakter, und nicht etwa einer permanenten Entwicklung hin zu einer eher milden oder rachsüchtigen Heldin. Aber das wird später dramatischer, wenn man am Ende einer Mission mit viel Verrat und Opfern z.B.  über Leben und Tod entscheiden muss.

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Mit dem Fokus kann Aloy sowohl die gelben Schwachpunkte als auch die Laufwege von Maschinen erkennen. © 4P/Screenshot

Das geht hinsichtlich der Haupt- und Nebenqueststrukturen sowie Konsequenzen zwar nicht ganz, aber fast so weit, dass man sich an The Witcher 3 erinnert fühlt. Man gerät in laufende Überfälle oder kleine Schlachten, wenn Wachen auf einer Brücke aggressive Maschinenwesen zurückschlagen oder wenn in ein befreites Banditenager die Händler und damit der Frieden einkehrt – all das sorgt für Dynamik und Glaubwürdigkeit. Hinzu kommen die wie Dungeons aufgebauten Brutstätten, deren labyrinthartige Düsternis für ein atmosphärisches Gegengewicht zur freien Natur sorgt und die ähnlich wie in The Legend of Zelda meist einen Bosskampf im Zentrum sowie neue Fähigkeiten zur Manipulation von Maschinenwesen bereithalten.

Glaubwürdige Spielwelt

Die Spielwelt ist nicht frei von Widersprüchen, denn dass man mit Pfeil und Bogen oder Stabschlägen sichtbar gepanzerte Maschinen ausschalten oder auf Knopfdruck mitten im Kampf mal eben Pfeile herstellen kann, fühlt sich

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Im hohen Gras kann sich die Jägerin verstecken und hinterhältige Angriffe einleiten. © 4P/Screenshot

einfach seltsam an. Außerdem darf man in jedem Lager auch als Fremde die dortigen Kisten plündern. Und bei allem Lob für das Rollenspielflair, muss man natürlich festhalten, dass man hier weder Fraktionen beeinflussen noch den Charakter von Aloy außerhalb ihrer Kampf-, Jagd- und Sammelfähigkeiten etwa rhetorisch oder moralisch entwickeln kann. Trotzdem liegt hier eine gehaltvolle Würze in der Luft, weil Guerrilla Games scheinbar mehr wollte als lediglich Action in hervorragender Kulisse zu inszenieren. Vor allem, wenn man der etwa 25 bis 30-stündigen Hauptquest folgt, bemerkt an allen Ecken und Enden den erzählerischen Ehrgeiz, eine glaubwürdige Welt zu erschaffen. Und das Fundament dafür lieferte ein sehr gutes Drehbuch, das auch die sozialen Aspekte thematisiert.

Die matriarchalische Gesellschaft rund um die Verehrung an eine Urmutter,

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Die offene Spielwelt ist bis auf das Startgebiet zunächst vom Nebel bedeckt. © 4P/Screenshot

strenge Rituale sowie Initiationen wird in vielen Facetten dargestellt. In dieser fernen Zukunft der Erde haben die Frauen das Sagen – zumindest im Stamm der Nora. Aber das hilft Aloy als „mutterloses“ Mädchen überhaupt nicht: Wer war ihre Mutter überhaupt? Woher kommt sie? Zumal sie sich noch weiter entfremdet, als sie nach dem Sturz in eine Höhle zwei Dinge findet, die ihr Leben und die Suche nach Antworten entscheidend verändern: Zum einen Spuren einer untergegangenen Zivilisation, die sich trotz Hightech vor irgendetwas fürchtete. Zum anderen einen kleinen Chip, den so genannten „Fokus“, der Aloy digitale Einsichten in ihre Umwelt ermöglicht, die andere nicht gewinnen. Sie bekommt plötzlich holografische Informationen, kann leuchtenden Spuren folgen, Indizien und Feinde aus der Distanz analysieren. Daraus ergeben sich ähnlich wie über Geralts Hexersinn viele detektivische, teilweise über mehrere Etappen laufende Quests, die sie z.B. von einem Tatort zum Täter führen. Und es ist auch für den Spielrhythmus eine gute Entscheidung, dass Aloy während der Nutzung des Fokus‘ stark verlangsamt ist und nicht kämpfen kann. So gibt es neben der Action während der Jagd auch genug investigative Ruhephasen.