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Ghost of Tsushima (Action-Adventure) – Blut im Sommergras

Im Jahr 1274 wird die Insel Tsushima von den Mongolen angegriffen. Im Auftrag von Kublai Khan sollen sie ganz Japan erobern. Als sie zu Zehntausenden am Strand landen, stellen sich ihnen 80 berittene Samurai entgegen. Genau an diesem Punkt der historischen Überlieferung beginnt Ghost of Tsushima. Danach öffnet sich eines der schönsten und elegantesten Abenteuer, die man in offener Welt erleben kann.

© Sucker Punch / Sony

Flower lässt grüßen

Warum fasziniert das so? Die Inszenierung der wogenden Wiesen erinnert ein wenig an flower, das 2009 auf der PlayStation 3 erschien, nur dass Sucker Punch die Landschaft wesentlich natürlicher und aufgrund stimmungsvoller Lichteinflüsse sowie dem feinen Dunst noch eindringlicher wirken lässt. Hinzu kommt ja ein Tag- und Nachtwechsel sowie Gewitter und Regen, die die Palette an Stimmungen nochmal erweitern. Übrigens: Die stimmungsvolle Dämmerung am Morgen und Abend wird tatsächlich in die Länge gezogen – zeitlich also nicht korrekt, aber ich habe das sehr genossen. All das wird musikalisch untermalt von den Kompositionen der filmerfahrenen Ilan Eshkeri (47 Ronin, Kick-Ass) und Shigeru Umebayashi (Crouching Tiger, Der Fluch der goldenen Blume), die auch einige akustische Facetten der alten Samurai-Filme erklingen lassen.

 

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Lust auf Kurosawa-Flair in Schwarzweiß? © 4P/Screenshot

 Auch wenn man im technischen Detail der Texturen, des Wassers oder hinsichtlich der Animationen der Pferde nicht an Red Dead Redemption 2, Death Stranding oder The Last of Us Part 2 herankommt, ist das eines der prächtigsten Spiele dieser Generation. Sucker Punch fotorealisiert nicht bis ins Kleinste, sondern stilisiert ins Malerische: Es sind vor allem Licht, Farben und Wettereffekte, die hier auftrumpfen. Im Gegensatz zu den technischen Problemen von Days Gone läuft Ghost of Tsushima übrigens einwandfrei, ohne Pop-ups oder Tearing sauber und stabil in 30fps. Hinzu kommen natürliche Mimik und Gestik in den Dialogen dank des professionellen Motion-Capturings, so dass die Gespräche in höchster Qualität ablaufen. Und alles, was man an Türmen oder Gipfeln selbst in weiter Entfernung am Horizont noch klar sieht, kann man irgendwann erkunden.

 


Vom Wind getrieben

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Die Kulisse sorgt immer wieder für Hingucker. © 4P/Screenshot

Vor allem in den ersten Stunden, wirkt diese kleine Insel doch sehr weitläufig. Der Wind sieht aber nicht nur klasse aus, sondern erfüllt noch andere Zwecke: Zum einen zeigen sich in ihm laut Story die alten Götter bzw. die Seele des verstorbenen Vaters, so dass Sucker Punch an die mit den Siegen von Tsushima verknüpfte Entstehung des Begriffes “Kamikaze”, göttlicher Wind, anknüpft – zwei Taifune sorgten jeweils für den Rückzug der Mongolen. Zum anderen leitet er Jin zu einem Ziel, wenn man z.B. die Karte öffnet und ein Fragezeichen oder auch einen entdeckten Ort markiert, zu dem man später sofort schnellreisen kann. Ansonsten kann man sein Pferd jederzeit per Pfiff herbeirufen und dorthin galoppieren – oder eben spazieren, was ich tatsächlich die meiste Zeit über gemacht habe.

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Der goldene Wald – so heißt er auch im Spiel. © 4P/Screenshot

Wer den Wind nicht als Routenplaner möchte, kann natürlich darauf verzichten – oder ihn über einen Wischer auf dem Touchpad rufen. Ich habe ihn als elegante optionale Hilfe geschätzt, zumal er ja nicht so plump wie ein Pfeil oder gar eine goldene Spur à la Fable eingebunden ist, sondern Story und Spielmechanik elegant vereint. Außerdem kann man sich auch allein an authentischen Tiergeräuschen sowie Gezwitscher orientieren: Das Bellen der Füchse kann man ebenso aus der Distanz vernehmen wie das Trällern der goldgelben Vögel – sie führen einen dann zu einem Inari-Schrein oder an besondere Orte. Das kann bei den Vögeln auch mal ein versteckter Schatz oder ein Lager sein. Apropos Tiere: Jagt man Wildschweine, prescht der Rest der Rotte schnell davon und Rehe gelten als heilige Tiere. Die ergeben übrigens auch kein Fell bei Beschuss und ziehen ein wenig vom aktuellen Legendenstatus ab – spürbare Folgen hat das allerdings nicht; zumal es auch kein Moralsystem gibt. Trotzdem erkennt man hier und an anderen Stellen, dass Sucker Punch vielleicht mal weiter in die Tiefe gehen wollte, schließlich gab es in inFamous noch ein komplexeres System an Konsequenzen.