Die deutsche Lokalisierung ist übrigens sehr gut, sowohl was die Sprecher als auch die Texte betrifft. Gerade die Kombination aus Dasha und Manfred Lehmann, die auch im Spiel Vater und Tochter sprechen, ist natürlich ein Glücksgriff. Umso ärgerlicher ist, dass sich das Lesen der gut geschriebenen Briefe, Lieder und Anekdoten spielerisch oftmals nicht lohnt, weil jeder noch so kleine Hinweis oder mögliche Code sofort als Hilfestichwort in Kurzform auftaucht – so entwertet man natürlich den Rätselanspruch. Dieser unsägliche Archivautomatismus plagt ja viele moderne Spiele und ich frage mich immer wieder, warum man da nicht mal gegenwirkt. Denn das macht das selbstständige Recherchieren und Notieren überflüssig, so dass man alles Gesammelte schnell wegklickt, weil die aktive Lektüre nicht nötig ist. Schade ist übrigens auch, dass man z.B. Zeitungsartikel nicht wirklich in deren Layout darstellt, sondern sofort in moderne Schrift überträgt.
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Trotzdem entsteht eine in sich stimmungsvolle Spielwelt. Man wird hinsichtlich der sozialen Realität zwar nicht so hineingezogen wie etwa im letzten Deus Ex: Mankind Divided mit seiner Diskriminierung und zwielichtigen Beschattung. Zum einen wird der Alltag in den Straßen und Gassen nicht ganz so dicht inszeniert, dass Karnaca wirklich lebendig wirkt. Zum anderen hangelt man sich in der Story recht vorhersehbar von Indiz zu Indiz und einige Konflikte wirken künstlich konstruiert. Das wird allerdings durch einige angenehm charismatische Antagonisten und das übersinnliche Element in Form des „Outsiders“ wieder ausgeglichen, der aus der düsteren Parallelwelt des „Nichts“ mit einem spricht und für erzählerische Neugier sorgt.
Und schließlich ist die Zusammenfassung der Ereignisse auf dem Schiff, das als eine Art Hauptquartier fungiert, lobenswert, denn so kann man trotz der vielen Details immer dem roten Faden folgen. Allerdings vermisse ich auf diesem Schiff mehr Entwicklung und Möglichkeiten: Es passiert an Bord zu wenig, es gibt kaum Geheimnisse und man kann dort nichts herstellen – man muss jeweils den Schwarzmarkt eines Viertels aufsuchen, um Waffen, Munition & Co zu kaufen oder aufzurüsten.
Spieldesign deluxe
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Aber den großen Star dieses Abenteuers habe ich noch gar nicht erwähnt: das offene Leveldesign. Zu Beginn wirken die Abschnitte sehr ansehnlich, angenehm weitläufig, wenn auch recht konventionell in ihrem Aufbau. Was ich Dishonored 2 hoch anrechne: Es gibt keine Minikarten! Man muss irgendwo die Pläne eines ganzen Areals finden und kann diese dann im Inventar aufrufen. Schon das Ausklamüsern der Route macht Laune: Meist führen mehrere Wege zum Ziel, nicht nur was das subtile oder brachiale Vorgehen, sondern auch die Taktik betrifft. Man kann vielleicht irgendwo abkürzen, die miesen Blitzbarrieren über die Strom erzeugenden Windmühlen ausschalten, falls man Kabelwerkzeug hat, Wachen belauschen oder weglocken, Schlüssel stibitzen und Tore öffnen oder als Fisch oder Ratte durch Kanäle oder Schächte infiltrieren – es gibt viele Möglichkeiten, seine Waffen und Fähigkeiten einzusetzen. Gerade diese spielerische Freiheit und der fließende Wechsel von subtil bis brachial ist unheimlich befriedigend.
Außerdem kommt am Ende eines Kapitels meist eine politische Komponente hinzu, denn man hat meist die Wahl, ob man bestimmte Antagonisten tötet oder im weitesten Sinne heilt bzw. verschont. Das geht so weit, dass man der einen oder anderen Fraktion den Kopf des Anführers überbringen kann, um ihre Gunst zu gewinnen – man kann auch eine neutrale Lösung suchen. Je nach Wahl, ändert sich die Machtsituation in dem Viertel und man schafft sich später Freunde oder Feinde.