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Assassin’s Creed 2 (Action-Adventure) – Assassin’s Creed 2

Im November letzten Jahres sorgte Assassin’s Creed 2 für heiße Diskussionen. Denn obwohl im Vergleich zum Vorgänger viele sinnvolle Änderungen eingebaut wurden, konnte uns Ezio nicht vollends überzeugen. Bei der jetzt erhältlichen PC-Fassung wird wieder heiß diskutiert. Allerdings stehen dieses Mal weder das Spiel noch die Verbesserungen zu den Konsolen-Fassungen  im Mittelpunkt, sondern die Premiere des neuen DRM-Systems von Ubisoft. Das ist schade, denn auf dem PC ist das Abenteuer empfehlenswerter als je zuvor.

© Ubisoft Montreal / Ubisoft

Noch ein Beispiel: Zwei Wachen stehen in einem Korridor. Eine schaut aus dem Fenster, eine hat den davor liegenden Flur im Auge. Ezio schleicht sich von hinten an die Flurwache heran und verabreicht ihm eine kleine Dosis Gift, bevor er unbemerkt hinter einem Mauervorsprung verschwindet und beobachtet, wie das Schicksal seinen Lauf nimmt. Die vergiftete Wache stöhnt und scheint zu halluzinieren: Sie zieht ihre Waffe und schlägt wie wild um sich. Sein Kollege reagiert und scheint verwundert. Zumindest fragt er, was denn los sei. Allerdings unternimmt er auch keinen Versuch, den nun auch ihn treffenden Schwertstreichen auszuweichen oder sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Nachdem sein Kumpel seinen letzten Atemzug getan hat, kniet er nieder und zeigt erste Anzeichen von Panik – schön! Und dann? Dann steht er wieder auf und dreht sich um, damit er weiter beobachten kann, was hinter dem Fenster passiert –

Dank grober KI-Aussetzer ist es häufig kein Probkem, die Wachen außer Gefecht zu setzen.

geduldig darauf wartend, dass Ezio ihm mit seiner Doppelklinge die Nieren perforiert. Noch offensichtlicher kann man es nicht machen, dass die vermeintlich intelligenten Verhaltens-Skripte trotz aller guten Ansätze auf den Straßen der italienischen Metropolen weit von dem entfernt sind, was vor gut elf Jahren mit Hideo Kojimas Geniestreich Metal Gear Solid Maßstäbe setzen sollte, die mit den Fortsetzungen größtenteils bis heute gelten. Und selbst das hauseigene Splinter Cell war schon viel weiter, was Figurenverhalten angeht…

Venedig vs. Jerusalem

Vor allem in einem Punkt erinnere ich mich gerne an die Ausflüge mit Altair in Jerusalem oder Akkon zur Zeit der Kreuzzüge: Prachtvolle Architektur. Angesichts der aufwändigen und facettenreichen Stadtviertel, die man durchstreifen oder erklimmen konnte, rückte die schwache Darstellung der Bevölkerung in den Hintergrund. Und mit AC2 hat sich das Team übertroffen: Läuft man durch Florenz, die kanaldurchsetzten Straßen von Venedig oder das überflutete Sumpfgebiet-Dorf Forlì, kann man gar nicht anders, als sich bewundernd und staunend umschauen. Ähnlich wie in Uncharted 2 finden sich überall kleine Texturdetails, die unter dem Strich eigentlich vollkommen irrelevant sind, aber umso deutlicher machen, mit wie viel Liebe die Designer hier zu Werke gingen.
Unbearbeitetes Holz hier, oxidierende Kupferdachplatten da, wunderschöne Reliefarbeiten, Deckenmalereien in den wenigen betretbaren Gebäuden: Daneben nimmt sich selbst der überzeugend animierte Ezio wie ein Statist aus. Die Hauptdarsteller sind die Städte, was sich nicht nur daran festmachen lässt, dass selbst die detaillierten Hauptfiguren mit ihrer Mimik schlichtweg eine Klasse schlechter aussehen als ihre Kollegen aus Uncharted 2. Ich habe mich immer wieder ertappt, wie ich mit Ezio um eine Ecke lief und erst einmal stehen blieb, um die Stadt auf mich wirken zu lassen. Und diese Wirkung ist nachhaltig.
Einen großen Anteil an dem Charakter und der Qualität der Städte hat natürlich auch die Akustik. Und die ist ebenfalls vom Allerfeinsten: Die Lokalisierung ist inhaltlich und technisch erstklassig, die Sprecher gut ausgewählt und auch wenn im Englischen die kleine, aber feine Anspielung auf einen anderen großen Videospielhelden witziger ist (Ezios Onkel stellt sich mit „It’sa me: Mario!“ vor) als in der deutschen Variante, muss man in diesem Bereich Mankos mit der Lupe suchen. Dazu gehören z.B. die obligatorischen Wiederholungen, die sich bei der Zivilbevölkerung und den Stadtschreiern alsbald zu hören geben oder die Drohungen der Stadtwachen, die man irgendwann alle gehört hat. Dennoch: Wenn das Verhalten der

Die Welt von Assassin’s Creed 2 ist auch auf dem PC eine Reise wert.

Bevölkerung ebenso lebendig wäre wie das, was sie von sich geben, hätte AC2 nicht nur eine überzeugende Architektur, sondern das derzeit glaubwürdigste Stadtleben zu bieten. Ein Sonderlob verdient auch die Musik: Klangvolle Kompositionen im Renaissance-Stil, die mal tragend, mal unauffällig die historischen Stadtwanderungen untermalen, geben den Städten Charakter. Die düster-traurigen, auf wenige Instrumente beschränkten Melodien im morastigen Forlì z.B. passen wunderbar zu den verschmutzten, abblätternden Fassaden.

Fiktion vs. Geschichte

Die Atmosphäre und der Reiz, der vom Italien der Renaissance ausgeht, wird auch durch einen kleinen Kunstgriff der Designer gebildet: Der überzeugenden Vermischung historisch überlieferter Fakten und Figuren wie z.B. Leonardo da Vinci, der sich als Erfinder und Freund der Familie in Ezios Dienste begibt, sowie fiktiver Elemente. Mit einem integrierten Lexikon, das zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Fakten parat hält und für alle Personengruppen und namhaften Individuen, die einem begegnen, Informationen aufbereitet, wird die Basis für diese interessante Mischung gelegt. Man begegnet den einflussreichen Medicis, macht sogar die Bekanntschaft eines gewissen Machiavelli, der das Assassinen-Credo Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt mitentwickelt haben könnte. Und spätestens wenn man mit Leonardos Flugmaschine das erste Mal über Venedig abstürzt und mit ihm Ursachenforschung betreibt, ist die Illusion perfekt, ist die schwierige Gratwanderung zwischen künstlerischer Freiheit und historischer Verpflichtung gelungen. Es hat sich damals nicht genau so ereignet? Egal: AC2 gaukelt es mir erfolgreich vor!