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Victoria 2 (Taktik & Strategie) – Victoria 2

Die britische Königin Victoria war Namenspatronin einer ganzen Epoche des 19. Jahrhunderts. Im gleichnamigen Spiel von Paradox kann man aber nicht nur ihre Heimat regieren, sondern auch viele andere zeitgenössische Staaten von Mexiko über Frankreich bis China. Die Bandbreite ist verheißungsvoll: Man darf eine Eisenbahn durch Amerika bauen, aus Bayern eine Großmacht machen oder Deutschland vereinigen. Macht das auch Spaß?

© Paradox Interactive / Paradox Interactive

Aufbruch in die Moderne

Das 19. Jahrhundert war geprägt von Fabrikarbeit, sozialem 

Reformen sind das a und o im Spiel, um einen modernen Staat zu schaffen. Nur welche will, kann und muss man zulassen? 

Aufbruch und aufkeimendem Nationalstolz, den man auch in die Welt hinaustrug, um sich fremde Länder als Kolonien untertan zu machen. Manche Nationen hatten schon ein einheitliches Gebiet wie die Kolonialmächte England oder Frankreich, andere mussten sich erst noch vereinigen wie Deutschland oder Italien. Es war aber nicht nur die Zeit der Industrialisierung, sondern auch die Zeit der großen Erfindungen – es wurden mehr bahnbrechende Entdeckungen gemacht als in all den Jahrhunderten zuvor: Eisenbahn, Maschinengewehr oder Verbrennungsmotor sind nur einige wenige Fortschritte, die der technikgläubigen Zeit ihren Stempel aufdrückten.

Doch Technik war nicht alles, denn es brodelte auch in der Gesellschaft. Nach dem Ende Napoleons waren die Werte der französischen Revolution nicht mehr aus der Welt zu schaffen, auch wenn die Fürsten nach dem Wiener Kongress glaubten, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können. Doch der Freiheitswille ließ sich nicht dauerhaft unterdrücken und brach sich in nationalen Bewegungen, liberalen Vereinen und lokalen Umstürzen Bahn. 1848/49 kam es sogar im obrigkeitshörigen Deutschland zur Revolution, die jedoch nicht zur Einheit führte, die Bismarck erst 1871 schmiedete. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es Parteien wie Sozialisten, Konservative oder Liberale, die immer selbstbewusster für ihre Rechte eintraten. Leider gab es auch übersteigerten Nationalismus, der nicht selten im Krieg mündete.

Große und kleine Fische

In Victoria 2 kann man Großmächte, Mittelmächte und einfache Länder spielen. Die sechs Großmächte England, Frankreich,

Die Länder sind nicht nur unterschiedlich groß, man kann sie auch alle spielen. Interessant sind sie, weil sie eigene Ziele haben.    

Spanien, Preußen, Österreich, Russland und Osmanisches Reich geben den Ton an, haben die bekannte Welt unter sich aufgeteilt und Einflusssphären gesichert. So befindet sich etwa Württemberg im Einflussbereich von Österreich, während Hamburg zu Preußen gehört, obwohl alle souveräne Staaten bleiben. Großmächte können versuchen, die Länder in ihrer Zone auf ihre Seite zu ziehen, so dass sie irgendwann nicht mehr dem Gegner gewogen sind. Eine Mittelmacht wie Belgien kann das nicht, obwohl sie auch Kriege führen, handeln und Verträge schließen kann. Darüber hinaus gibt es Nationen, die zur neuen Großmacht aufsteigen können, wie Italien, wenn sie erst mal geeint sind.

Anders als bei Europa Universalis 3 unterscheiden sich die Völker spürbar, denn sie verfolgen auf ihre Länder abgestimmte Ziele. Auch wenn es so nicht ausdrücklich gesagt wird, muss Preußen den Norddeutschen Bund schmieden, um neues Territorium zu bekommen, während die USA ihre Sklavenfrage klären sollte, die für Unruhe in dem jungen Staat sorgt. Die Engländer müssen „einfach“ ihr Kolonialreich vergrößern, während Frankreich mit dem Erbe Napoleons hadert. Soll es ein Königreich bleiben oder lieber eine Republik werden? Oft sind es Ereignisse wie ein Pamphlet eines liberalen Schriftstellers, bei dem richtungsweisende Entscheidungen gefragt sind, wie man sie von Hearts of Iron 2 kennt. Leider übertreiben es die Macher, denn der Zufall wiederholt sich, so dass es irgendwann auch den engagiertesten Herrscher nervt. Zudem sind gerade hier Platzhalter zu finden, was etwas unfertig wirkt.

Sucht nach Ruhm

So unterschiedlich die Ziele, so sind auch die Wege dahin, denn jede Nation muss ihren eigenen gehen. Die USA erweitern

Preußen legt nur an Prestige zu, wenn der kleinstaatliche Flickenteppich verschwindet. Egal mit welchen Mitteln. 

ihr Land einfach durch Kolonisierung des Westens, während Preußen auf seine schlagkräftige Armee setzt, um seine Nachbarn gefügig zu machen. Frankreich hingegen setzt eher auf kulturelle Entwicklung, um mehr Einfluss zu bekommen. Das Ansehen in der Welt ist dabei der Dreh- und Angelpunkt: Diejenige Nation, die beim Prestige ganz vorne steht, hat gewonnen. Jeder Fortschritt, jede Eroberung oder kluger Künstler bringt Prestige. Daher ist es nicht ganz fair, dass ausgerechnet hier immer wieder Zufallsereignisse reinspielen. So bringt der Bau des Arc de Triomphe einen Prestigezuwachs in Punkten, für den man gar nichts kann.

Leider sind die Ziele vom Schwierigkeitsgrad her schwankend: So ist eine Reform des Bildungswesens schnell gemacht, da man einfach nur zustimmen muss. Ein Ansporn des Kampfgeistes der Bevölkerung ist vergleichsweise simpel machbar, da man nur die Romantik erforschen muss, was zwei Jahre dauert. Um den Norddeutschen Bund zu bekommen, muss man aber schon ganz Norddeutschland auf seine Seite bringen. Da man die Schwierigkeit nicht einstellen kann, hängt die Spielbalance sehr davon ab, welches Land man anführt. Wer sich für Piemont-Sardinien entscheidet, muss Mailand erobern, was angesichts der mächtigen österreichischen Armee nahezu aussichtslos scheint. Kann vielleicht Frankreich als Verbündeter helfen oder soll man zuerst den Rest des italienischen Stiefels erobern, bevor man den Kaiser rausfordert?