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Rage 2 (Shooter) – Wuchtiges Ballett im Ödland

Auf einen Gegner springen, während des Abschießens zweier Schrotladungen in der Luft stehen bleiben, um mit einem vernichtenden Faustschlag schließlich gen Boden zu krachen: Das ist Rage 2! Klingt nicht unbedingt nach einem Shooter von id Software, aber schon mit dem Vorgänger wollten die Doom-Macher ja eine ganz neue Zielgruppe erschließen. Ob ihnen das nun mit der Hilfe eines zweiten Studios gelingt, besprechen wir im Test. Auf ins Ödland!

© Avalanche Studios und id Software / Bethesda Softworks

Tatsächlich hat mich das akrobatische Austoben mit Doppelsprung, mächtigem Nahkampf und einfallsreichen Waffenfunktionen an Crackdown 3 erinnert – das dort allerdings stärker mitreißt, weil seine Aktionspunkte näher beieinander liegen, weil es auf dem Weg zu ihnen mehr zu tun gibt und weil sich Abläufe und Herausforderungen ständig entwickeln . Rage 2 wirkt also vor allem konzeptionell schlecht durchdacht. Interessanterweise empfand ich bereits Just Cause, vor allem aber Mad Max und Generation Zero als ähnlich leblose, rein funktionale Beschäftigungstherapien ohne nennenswerten Esprit. Wer mit diesen seinen Spaß hat, darf meine Abneigung gerne entsprechend einordnen.

Bin ich im richtigen Spiel?

Das zieht sich bis in die Siedlungen, die für sich schon seltsam sterile Anordnungen von Händlern und Auftraggebern sind. Die vor allem aber als Zentren der Charakterentwicklung dienen, weil man gesammelten Schrott dort loswird, Munition kauft sowie Erweiterungen für die Charakterentwicklung. Und Letztere sind ein Problem.

Man kauft ja nicht einfach, was man gerne hätte. Vielmehr benötigt man sehr viel mehr als zehn Ressourcen, um etliche Fähigkeiten, Fahrzeug sowie Granaten, Geschützdrohnen und Wingsticks zu verbessern. Teilweise gibt es dafür Upgrade-Menüs innerhalb von Upgrade-Menüs, wofür auch jeweils verschiedene Materialien benötigt werden – was für ein horrender, unübersichtlicher Irrsinn! Rage 2 erreicht ganz locker die überbordende Ressourcen-„Komplexität“ eines Free-to-play-Titels,

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Manche Aktivitäten, darunter Verfolgungsjagden, sorgen für ein wenig Abwechslung im spielerischen Ödland. © 4P/Screenshot

die hauptsächlichen einem Ziel dient: Spieler möglichst lange zu binden.

Im besten Fall könnte man ihm Eigenschaften eines Loot-Shooters zugestehen, der ebenfalls lange am Leben gehalten werden soll – die frisch veröffentlichte Roadmap deutet das an. Nur gibt es hier partout nichts, was die übermäßig vielen Ebenen inhaltlich rechtfertigt. Die Charakterentwicklung ist ja bedeutend überschaubarer als in Anthem oder Destiny. Sprich, anders als da setzt man sich keine langfristigen Ziele, sondern ballert schlicht drauf los. Die irrsinnige Vielschichtigkeit behindert also zum größten Teil nur den Zugang zum eigentlichen Spiel.

Und so umfangreich die Charakterentwicklung dadurch auch sein mag, so sehr besteht sie wie erwähnt nur aus dem zähen Freischalten dessen, was den Spielspaß im Kern ausmacht. Vielleicht liegt es ja an diesem langen Prozess, dass man den Showdown selbst auf hohen Schwierigkeitsgraden ganz locker packt, ohne auch nur ansatzweise alle Fähigkeiten oder Waffen erworben zu haben. Nur welches Konzept steckt hinter einer ausführlichen Charakterentwicklung, deren Ergebnis erst richtig Spaß bringt, zum Weiterkommen aber gar nicht gebraucht wird?

Wenig Autorität

Überhaupt: die Missionen. Sie unterscheiden sich kaum vom Einnehmen gewöhnlicher Stützpunkte – mit dem Unterschied, dass sie oft ins Innere von Gebäuden führen, deren Architektur meist aus geraden Gängen und einigen großen Räumen besteht. Von gutem Leveldesign kann zumindest keine Rede sein. Zu allem Überfluss trifft man ganz allgemein viel zu selten

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Einen Großteil der Zeit ist man allerdings damit beschäftigt, nach Kisten und anderen Behältern Ausschau zu halten. © 4P/Screenshot

auf Mitglieder der Authority, erledigt dafür aber gleich viermal den gleichen Bosskampf, weil Avalanche offenbar die Zeit ausging weitere Figuren zu kreieren. Dabei sind die ersten Bosse noch spannend und einfallsreich. Insgeheim hatte ich zudem auf eine Wendung in der Geschichte gewartet, die auch der Spielwelt eine neue Facette zufügt. Man denke an Batman: Arkham Knight oder eben Division 2. Aber „natürlich“ blieb auch diese Hoffnung unerfüllt.

Stattdessen habe ich Millionen von Kisten geöffnet oder zerschossen sowie andere Ressourcen gesammelt, nachdem die Action längst vorbei war. Zum einen ist das für die zuvor beschriebene Charakterentwicklung und Munitionsbeschaffung unbedingt notwendig und zum anderen weist das Spiel ständig darauf hin, dass man eine von zwei Archentruhen, drei von sechs Lagerkisten, zwei von vier belanglosen Textnachrichten sowie die Überwachungsdrohne am jeweiligen Standpunkt noch nicht gefunden hat. Schon mit Mad Max und Generation Zero ging Avalanche davon aus, dass ich ein Spiel spiele, um X von Y Kisten zu finden – tatsächlich kann ich mir nichts Langweiligeres vorstellen.

Moment, das stimmt nicht! Ich kann mir inzwischen immerhin vorstellen, wie es ist, eine Ressource aus einem Asteroiden zu ziehen, indem ich nacheinander etwa ein Dutzend Rohstoff-Konzentrationen anvisiere, ein paar Sekunden lang die „Staubsauger“-Taste drücke, die nächste Konzentration anvisiere, den Staubsauger aktiviere…