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Judgment (Action-Adventure) – Detektiv der neuen Generation

Mochtet ihr Yakuza: Like a Dragon mit seinem komplett neuen Kampfsystem? Wollt ihr trotzdem noch mal wie in alten Zeiten durch die Straßen Kamurochos ziehen? Bitte sehr: Während ich für den Test von Judgment durch die Straßen von Tokio
geschlendert bin, war mir eins stets klar: Der Name ist reine
Kosmetik. Denn Judgment ist durch und durch ein Yakuza im alten Stil. Und das ist ja nichts Schlechtes. Immerhin hält sich die bewährte Formel trotz Abnutzungserscheinungen jetzt schon seit mehr als zehn Jahren. Lohnt es sich also, jetzt auch mit den Umsetzungen für PlayStation 5 und Xbox Series in das „alte“ Kamurocho zurückzukehren?

© Ryu Ga Gotoku Studio / SEGA

Familie statt Clan

Großen Anteil hat daran nicht zuletzt eine Erzählung, in der Takayukis Kollegen sowie später hinzukommende Kameraden eine Art Familie bilden. Nach zehn Jahren Einzelkämpfer-Mentalität fühle ich mich in diesem wärmeren Umfeld jedenfalls verdammt wohl. Die Autoren und Filmemacher bringen sogar einen sympathisch spitzfindigen Humor ins Spiel, der vor allem Takayuki und seinen Partner Masaharu als sympathisches Duo etabliert, und von einer erstaunlich wohldosierten Prise Slapstick flankiert wird.

Viele Klischees sind aber immer noch zu beobachten: gelegentliches Schreien etwa oder das idiotische Verprügeln des besten Freundes. Im Gegenzug erzählt Judgment dafür einen Krimi, der einmal mehr etliche Umwege über Verschwörungen in Verschwörungen nimmt, insgesamt aber direkter zum Punkt kommt und sich auch unmittelbarer um den zentralen Charakter dreht. Er ist sogar auf eine Weise emotional, die an Yakuza 2 erinnert und das ist das größte Lob, was ich einer Yakuza-Geschichte aussprechen kann!

Andere Länder, andere Sitten?

Einen ganz bestimmten Aspekt der Erzählung finde ich allerdings fragwürdig und das ist nach wie vor die Repräsentation von Frauen bzw. der Geschlechterrollen. Nun bin ich beileibe kein Experte der japanischen Kultur und will Ryu Ga Gotoku Studio außerdem zugestehen, dass sie vor dem Hintergrund einer traditionell stärker sexualisierten Frauendarstellung eine durchaus fortschrittliche Botschaft vermitteln. Gleichzeitig fällt aber auf, dass in der hier erschaffenen Welt ausschließlich Männern Handelnde sind, während Frauen praktisch nur als Opfer oder Unterstützung dienen und natürlich beschützt, ja sogar von einem Mann eingekleidet und geschminkt werden müssen.

Mal abgesehen davon, dass der 35-Jährige Takayuki im Rahmen eines Handlungsstrangs mehrmals mit einer 19-Jährigen ausgeht – was ich deshalb als extrem unangenehm empfand, weil man diese Geschichte selbst in den zahlreichen Multiple-Choice-Gesprächen nicht anders entwickeln darf außer sie als eine Art Minispiel gewinnen zu müssen, indem man sie mit Geschenken und “romantischen” Antworten umgarnt. Alternative Handlungsverläufe gibt es nicht; man könnte die Nebenmission lediglich unerledigt lassen.

Der ungenierte Blick

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Judgment spricht wie gehabt auf sehr herkömmliche Art sein vermeintliches Publikum an. © 4P/Screenshot

Es darf gerne Unterhaltung für ein testosterongesteuertes Publikum geben! Und vielleicht erreicht ja gerade ein so inszeniertes Judgment dieses Publikum mit seinen kleinen Ermahnungen in Richtung Gleichbehandlung. Es gibt eine Szene, in der es mit einem überraschenden Perspektivwechsel vielleicht zum Nachdenken anregt. Aber sobald die Kamera mit Nachdruck auf die Oberweite junger Damen glotzt oder in aller Ruhe von den Hüften nach oben fährt, um dann nicht mal das Gesicht zu fokussieren, fühle ich mich einfach unwohl.

Nichts gegen ein bisschen altmodisches Rittertum, doch im Großen und Ganzen untermauert Judgment sehr wohl die Einstellung, dass Frauen zunächst mal Spielzeuge sind und unterstellt seinen Spielern gleichzeitig, sie würden Freude daran empfinden – das ist es, worauf ich gerne verzichten kann.

Ausgerechnet der Flipper…

Und weil es gerade um Testosteron geht, will ich abschließend noch ein paar Worte den Schlägereien sowie den Minispielen widmen, bei denen alte Bekannte (Baseball, Poker, Shogi, Dart, Virtua Fighter Showdown u.m.) um ein paar neue ergänzt wurden. Am interessantesten sind hier die Drohnen-Wettrennen, bei denen man durch die Straßen Kamurochos rauscht, Beschleunigungsfelder durchfliegt, in immer schnelleren Turnieren irgendwann Champion wird und als nette Dreingabe mit den hochgeladenen Rekorden von Freunden oder fremden Spielern um die Wette rast. Den Umfang der taktischen Clan-Gefechte aus Yakuza 6 erreicht das nicht, aber eine unterhaltsame Abwechslung ist es allemal.