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Hellblade: Senua’s Sacrifice (Action-Adventure) – Fluch und Segen

Das ungleiche Paar Monkey und Trip, die einem Trauma entflohene Kat oder die mit der Realität fremdelnde und trotzdem starke Kai: Tameem Antoniades hat faszinierende Figuren erschaffen, seit er als kreativer Kopf des britischen Studios Ninja Theory actionreiche Abenteuer kreiert. Kein Wunder also, dass ausgerechnet er tiefer in den Kopf einer Heldin eindringt, als es je ein Entwickler getan hat. Aber kann Hellblade: Senua’s Sacrifice in unserem Test auch spielerisch überzeugen?

© Ninja Theory / Ninja Theory

Im späteren Verlauf wird durchaus deutlich, dass Juergens bei ihrem schauspielerischen Debüt vor allem stimmlich die notwendige Ausdrucksstärke fehlt, um vollständig in ihrem Charakter aufzugehen. Das macht sie allerdings mit einer außergewöhnlich kraftvollen Darstellung und ihrer eindrucksvollen Gegenwart in den Nahaufnahmen wett. Womöglich ist es sogar erst diese rohe, ungebündelte Energie, aus der sowohl Senuas Furcht als auch ihre Stärke als Kriegerin erwachsen.

Halluzinierte Erklärbären

Während man so einer beinahe leibhaftigen Protagonistin folgt, versteht man mehr und mehr, warum sie unter derart ausgeprägten Visionen leidet. Denn Antoniades inszeniert ihren Wahn nicht nur, um Kreaturen und Rätseln einen Daseinsgrund zu verschaffen. Vielmehr war sein Ziel offenbar eine vollumfassende Charakterdarstellung. Immerhin leuchtet er Senuas Vergangenheit über die gesamte Spielzeit hin ausgenommen sorgfältig aus: Er verankert ihre Geschichte mit gesellschaftlichen und religiösen Zusammenhängen, während etwa versteckte Runensteine nicht nur zum aufmerksamen Erkunden einladen, sondern gleichzeitig wichtige Teile der nordischen Mythologie beschreiben.

Etwas zu sehr verliert er sich dabei im Erklären und Beschreiben und Rückblicken, so dass man spätestens gegen Anfang des letzten Drittels mehr einem visuellen Hörbuch lauscht, anstatt durch eine komplett vereinnahmende Welt zu streifen. Viele Rätsel wirken dann auch wie künstliche Hindernisse und nicht wie organische Teile der Erzählung.

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Mit einer speziellen Fähigkeit macht Senua die Wesen der Finsternis erst verwundbar. © 4P/Screenshot

Im Gegenzug versteht man aber, dass Senuas Dunkelheit aus einer natürlichen Disposition heraus entstanden ist, was ihre soziale Prägung damit zu tun hat und wie sehr sie durch traumatische Erlebnisse verstärkt wurde. Und weil Teile ihrer Ängste, allen voran Dunkelheit und Feuer, auch spielerische Hindernisse sind, begreift man ihren aktuellen Zustand nicht zuletzt auf eine Art, die komplett verloren gewesen wäre, wenn wie in den meisten Spielen vielleicht zwei kurze Rückblenden die Kindheit der Figur nur umrissen hätten.

Fluch oder Segen?

Dass Hellblade trotz dieser detailversessenen Glaubwürdigkeit die Magie eines großen Fantasy-Abenteuers verströmt, verdankt es dem erzählerischen Geschick seines Regisseurs und Autors. Zum einen beschreibt er seine Heldin nämlich nie als arme Irre, sondern immer als starke Kämpferin und zum anderen deutet er ihre Halluzinationen als Erweiterung der ganz normalen menschlichen Fantasie und hatte diese Erkenntnis auch im Vorfeld schon hervorgehoben. Da jeder seine Umgebung lediglich interpretiert, anstatt unantastbar „richtige“ Erkenntnisse zu erlangen: Wer weiß schon, wie real unsere Wirklichkeit tatsächlich ist und ob Menschen wie Senua nicht Dinge wahrnehmen, die anderen einfach verborgen bleiben?