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Elex (Rollenspiel) – Mixed Crystal Fantasy

Im Juli 2015 kündigten Nordic Games und Piranha Bytes das erste gemeinsame Spiel an. Und sie schienen nach dem biederen Risen 3 sehr viel vorzuhaben: Elex sollte ein „eklektisches, leidenschaftliches, energetisches,
xenophiles
Open-World-Rollenspiel“ in einem postapokalyptischen
Science-Fantasy-Universum werden. Angesichts dieses Stakkatos an Themen musste man sich erstmal anschnallen – und befürchten, dass sich die Essener mit ihrem Falloutwitcherstarwars übernehmen würden. Gelingt einem der ältesten deutschen Studios ein kreativer Neuanfang oder versackt das Abenteuer im Mischmasch? Mehr dazu im Test.

© Piranha Bytes / THQ Nordic

Unglaubwürdiger Entzug

Für einen Alb, der Elex quasi mit der Muttermilch aufnahm, erkennt man viel zu wenig körperliche oder geistige Folgen. Ja, die Werte für Stärke, Geschicklichkeit, Intelligenz etc. sind so stark dezimiert, dass man quasi mit Level 0 beginnt. Aber abgesehen von dieser Statistik passiert zu wenig Dramatisches. Es wäre klasse gewesen, auch mal den inneren Kampf zu zeigen, den „alten“ eiskalten Alb zu hören. Man kann die blaue Droge ja auch einfach so konsumieren, um auf Knopfdruck z.B. Erfahrungs- oder Attributspunkte zu gewinnen – immer wieder darf man sich vollpumpen. Umso seltsamer ist, dass dieser künstliche Boost scheinbar keinerlei Folgen hat wie etwa einen Rückfall oder eine wachsende Gier. Der Held geht letztlich viel zu cool mit seiner extremen Situation um. Hier verschenkt man einiges an dramaturgischem Potenzial, um seine von Drogen beherrschte Vergangenheit glaubwürdiger in die Gegenwart zu transportieren. Dabei gibt es ja Ansätze: Besser wird das z.B. mit einer späteren Gefährtin namens Caja dargestellt, die regelmäßig Mana braucht, um nach dem Elexkonsum nicht ihre Menschlichkeit zu verlieren.

Und immerhin hat die Regie einige Joker parat: Weil man kein Elex mehr konsumiert, melden sich auch die Emotionen so

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Vorbildlich: Man kann zig Hilfen und Visualisierungen abstellen. © 4P/Screenshot

langsam zurück. Schon in den ersten Dialogen kann man sehr schön erkennen, dass man wie ein Alb eher herrisch und arrogant antworten kann, aber kaum offensichtlich verständnisvoll – da muss man schon genauer lesen. Manchmal sind die Antworten allerdings auch nicht ganz klar formuliert, so dass man das eingeblendete Ergebnis nicht immer nachvollziehen kann. Aber das man evtl. sofort eine Auwirkung auf seinen Charakter spüren kann, trägt viel zum aktiven Rollenspielflair bei: Es gibt nämlich einen universellen moralischen Wert namens „Kälte“, der von null bis hundert steigen und fallen kann, je nachdem ob man sich z.B. gewissenlos oder einfühlsam, egoistisch oder sozial verhält. Man kann seine Rolle also weiter als Alb interpretieren oder sich immer mehr zum Menschen entwickeln – auch wenn das vor dem biografischen Hintergrund letztlich zu flott geht, gibt es quasi drei mögliche emotionale Zustände: menschlich, neutral, synthetisch.

Grade an Menschlichkeit

Was bringt einem so eine Stufe der Kälte? Es gibt Situationen, in denen sie relevant ist – das kann z.B. eine zusätzliche Option in Gesprächen sein, in denen man jemanden über seine Menschlichkeit überzeugen kann. Vor allem in den Hauptquests wird

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Bei den Outlaws trifft man auf Typen, die nicht lange fackeln… © 4P/Screenshot

Jax‘ emotionaler Zustand öfter thematisiert. Und in der Charakterentwicklung kann man eine von drei Fähigkeiten unter „Persönlichkeit“ freischalten, wenn man einen gewissen Status  besitzt. Aber das ist viel zu lange überhaupt nicht nötig und eher eine versteckte Option als wirklicher Mehrwert.

Und obwohl die Kälte als Gradmesser der Menschlichkeit so interessant für die psychologische Metaebene ist, wird sie unheimlich karg im ohnehin sehr sterilen Menü dargestellt; nicht mal als numerische Leiste, sondern einfach als ein Wort wie „neutral“, so dass man den eigenen Status zwischen null und hundert nie ablesen kann. Zudem spürt man ihre Auswirkung zu wenig in Quests oder der Interaktion mit Gefährten. Und wenn ich Elex konsumiere, wie oben beschrieben, sinkt sie scheinbar auch nicht. Hier hat man einiges an Wechselwirkungen und Potenzial liegenlassen.

Kann man auch alleine spielen, ohne sich irgendwo anzuschließen? Ja, für eine gewisse Zeit, aber das ist kniffliger und man verpasst natürlich viele der für die Völker exklusiven Questreihen, zumal man im Kampf viel zu wenig Erfahrungspunkte gewinnt, um als wirklich einsamer Wolf die für die Rache benötigte Stärke zu gewinnen. Selbst wenn man sich sofort und naheliegender Weise den Separatisten der Albs zuwenden will, eine Art vierte alternative Fraktion, die auch gegen Kallax kämpft, bleibt die Aufnahme bei einem der drei freien Völker das Ziel der Hauptquest. Nicht nur hier lässt Gothic grüßen, denn man muss sich irgendwann zu einer Fraktion bekennen, um in der dortigen Hierarchie in Rängen, z.B. vom Krieger ab Level 15 zum Erz-Berserker ab Level 25, aufzusteigen, um erst dann Rüstungen sowie weitere Aufgaben zu bekommen.

Mein Problem war lange Zeit: Ich wollte mich nicht bekennen, denn überall gab es Arschlöcher. Weder die konservativen Beserker mit ihrer Technikphobie noch die abgefuckten Outlaws mit ihren Sadisten oder die religiösen Kleriker mit ihrem Bekehrungsgefasel sagten mir wirklich zu – letztlich habe ich mich wohl oder übel den Berserkern angeschlossen.