Immerhin lockern auch diesmal einige Szenen das gewöhnliche Ballern auf, wenn man z.B. auf einer Postkutsche flüchtet, die von etlichen Feinden verfolgt wird, oder in einem von zwei Levels ein sehr weitläufiges Areal erkunden darf. Aber solche Momente sind leider die einzige Abwechslung und kein Vergleich zu den einzigartigen Aufgaben des Vorgängers. Brände, die z.B. durch angeschossene Petroleumlampen entstehen, spielen diesmal kaum noch eine Rolle; nur einmal wird das sich ausbreitende Feuer genutzt – für eine vorgefertigte Sequenz. Schlimmer ist, dass mein Partner nichts Besseres zu tun hat, als im Zehn-Sekunden-Takt nach mir zu rufen. Es gibt zwar Geheimnisse zu entdecken (Zeichnungen, zeitgenössische Fotografien und sogar gesprochene Monologe), aber die zu suchen, raubt mir dank der geschwisterlichen Nervensäge jeden Spaß! Noch schlimmer: Entferne ich mich in den eigentlich frei begehbaren Städten oder Wäldern zu weit von meinem Bruder, heißt es schlicht und ergreifend „Game Over“. Wer denkt sich derart unsinnige Schikanen aus? Am PC darf ich dann immerhin meinen letzten Spielstand laden, den ich jederzeit aktualisieren kann, auf den Konsolen bin ich auf Speicherpunkte angewiesen. Gut, was bin ich auch so naiv und suche nach einem harten Gefecht in Ruhe nach Schätzen. Gefundenes Geld benötige ich ja nur für den Kauf besserer Waffen und frischer Munition…
Zieh!
Unausgewogen wirken auch einige Sequenzen, die beim ersten Mal nur deshalb kaum zu meistern sind, weil urplötzlich etliche Banditen von mehreren Seiten über mich herfallen. Solche Tode muss ein moderner Shooter zu vermeiden wissen. Und ich muss auch Fehlversuche einplanen, wenn ich mich auf ein Duell Mann gegen Mann einlasse.
In diesen Situationen ist das Motto „Trial & Error“ allerdings verständlich, denn bei dem ikonischen Aufeinandertreffen kommt es nun mal auf jeden Bruchteil einer Sekunde an!
Da stehen sie dann: einer der McCalls links im Vordergrund – den Mantel zurückgeworfen, die Hand nah am Revolver – und der Widersacher Bildschirm füllend im Hintergrund. Langsam umschleichen sich die Männer, die leise Musik saugt alle Luft zum Atmen auf und ich muss aufpassen, den Schritten meines Gegners zu folgen. Mit der Maus oder dem Analogstick bewege ich meine Hand vorsichtig zur Pistole – dann ertönt plötzlich das Signal! Mit einem Ruck drücke ich den Controller nach links, reiße die Hand nach oben und muss nur noch im richtigen Moment abdrücken, falls ich den Gegner schon vorher richtig anvisiert habe. Der Schnellste gewinnt den Kampf, der Langsamere verliert alles. In solchen Momenten atmet Bound in Blood die freie Luft des verklärten frühen Amerikas!
Die große Freiheit?
Und auch in anderen Momenten versucht sich Techland an der großen Freiheit – besonders dann, wenn ich mich in zwei Abschnitten ohne Missionsziel völlig frei bewegen kann und erst wenn es mir in den Kram passt bei meinem Bruder zurückmelden muss. In diesen zwei Levels konnte ich mir endlich ein Pferd schnappen und minutenlang in den Sonnenuntergang reiten. Das Reiten hat mit der Realität zwar so viel zu tun wie Mein Pferdehof mit Shadow of the Colossus, allerdings sah der Wilde Westen – nicht nur hier, sondern in dem gesamten Abenteuer – nie schöner aus! Staub weht über die trockene Steppe, der Wind fegt durch grüne Baumwipfel und im Hintergrund erstrecken sich hohe Bergspitzen und unendliche Weiten. Im Detail tauchen kleine Büsche oder Felsen zwar erst spät auf, während die PS3-Version von flackernden Schattenrändern und teils starkem Tearing geplagt wird – die Postkartenmotive findet man aber auf allen drei Systemen. Die PC-Fassung lädt dank hochauflösender Texturen und der besten Weitsicht dabei am ehesten zum Schnappschießen ein.