Selbst das Sicherheitssystem lässt sich überrumpeln, falls es gelingt, Geschütztürme oder Überwachsungskameras zu hacken. Wird ein solcher Versuch gestartet, muss die langsam fließende Energie innerhalb der Geräte von ihrem Eintritt bis zu einem Ausgangspunkt geleitet werden, indem ein zusammenhängendes System aus Rohren gelegt wird. Ist die zeitkritische Aktion erfolgreich, schießen Geschütztürme auf Splicer, Überwachungskameras rufen bei Feindkontakt hingegen von Propellern angetriebene Sicherheitsdronen, die auf Gegner feuern. Der Spieler darf auch eine der Dronen hacken, die ihn fortan munter surrend begleitet, und er kann Verkaufsautomaten auf dem gleichen Weg manipulieren, um sich günstigere Preise für Munition oder Erste Hilfe-Kästen zu erschleichen. Das gleiche gilt für Erste Hilfe- sowie U-Invent-Stationen, welche aufgelesene Materialien wie Gummischläuche, Schrauben oder Leim in Munition oder genetische Modifikationen umwandeln. Vielleicht
hätten unterschiedliche Methoden zum Hacken der Systeme auf Dauer gut getan, aber das Gefühl der Kontrolle über
seine Umwelt überwiegt die Monotonie.
Deus ex machina
Praktisch: Die erwähnten genetischen Modifikationen erleichtern das Hacken, schützen gegen Angriffe mit Feuer oder Elektrizität, machen den Spieler kurzzeitig unsichtbar, verstärken die Wirkung von Erste Hilfe-Kästen oder lassen ihn stärker mit dem Schraubenschlüssel zuschlagen. Letzterer kann somit auch dann noch hilfreich sein, wenn man längst schwer bewaffnet durch die futuristische Retro-Stadt trottet. Und das ist eine der wichtigsten Errungenschaften in Irrationals Shooter. Denn wo es in ähnlichen Werken nur darum geht, profillose Feindbilder mit immer stärkeren Waffen und mächtigeren Fähigkeiten zu vernichten, wird der Protagonist in Rapture nie zum militärischen Erretter. Stattdessen
ist er wie beim Betreten der ersten Luftschleuse auf sein Können und den klugen Einsatz seiner Mittel angewiesen. Waffen können in zwei Stufen verbessert werden, genetische Mutationen erweitert – aber immer in kleinen Schritten. BioShock kennt kein Deus ex machina, keine wundersame Auflösung der Bedrohung. Aber sein wichtigstes Element kommt erst mit der Vorstellung von Big Daddy und Little Sister zum Tragen – einer der tragischsten Paarungen in der Geschichte der Videospiele. Bilder sagen mehr als Worte:
Hilflose kleine Mädchen laufen barfuß über steinerne Straßen. Sie leiten ihre Beschützer durch die modernde Metropole, klettern auf ihren Rücken, lassen sich den Kopf tätscheln. Sie werden müde, wenn ihre Arbeit erledigt ist und lassen sich
BioShock Start-Trailer
Spielszenen von der E3
Schuld und Mitleid
Aus dem Tagebuch eines Spielers: „Ich fürchte mich vor den Big Daddys. Als wäre ihre riesige Erscheinung nicht Furcht einflößend genug… ich habe einen von ihnen in Aktion gesehen. Solange man sie in Ruhe lässt, kümmern sie sich nur um ihre Little Sisters. Sie stoßen einen beiseite, wenn man ihnen zu nahe kommt. Aber sie greifen nie an. Und wenn man es doch tut? Ich hatte nie so eine unbändige Wut erlebt. Sein Anzug widersteht jedem Widerstand. Seine Angriffe sind schneller als alles, was ich bisher gesehen habe. Aber ich BRAUCHE ihr Adam! Ich kann nicht ohne überleben. Ich bin zu schwach, um jemals ohne diese… Mutationen hier raus zu kommen. Und plötzlich ging es los. Drei Splicer, ein Big Daddy – und ich. Wie die Hunde sind wir über unser Opfer hergefallen. Wir haben es geschlagen,
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Als riesige Kampfmaschinen wüten die Big Daddys durch Rapture. Sie greifen jedoch nie an, sondern verteidigen nur sich und ihre Litte Sisters. |
gelähmt, beschossen. Ich schäme mich, wenn ich daran denke. Er hat sich eine Ewigkeit gewehrt. Und dann weinte sie plötzlich ganz allein neben dem toten Riesen. Hat ihn angefleht, aufzustehen. Keiner war übrig, nur ich stand noch da. Soll ich sie für ein bisschen Adam von diesem Leiden befreien, den Parasiten entfernen und wieder ein Mädchen aus ihr machen? Oder reiße ich das Tier aus ihr heraus und hole mir mehr Adam, als ich je erträumt hatte? Ich habe nichts übrig gelassen…“
Obwohl oft anders behauptet: Schuld und Mitleid sind in Videospielen keine Unbekannten. Und um genau zu sein, sind Levines spielerische Konsequenzen bis auf eine kleine Variation zum Schluss geringer als es die Intensität des gewaltsamen Mordes vermuten lässt. Aber BioShock atmet. Die Welt wirkt so plastisch, die Handlung trotz ihrer Linearität so nachvollziehbar und die Figuren so menschlich, dass schon der mögliche Tod des Mädchens, ausgelöst durch die eigene Hand, etwas berührt, das sonst nur Autorenfilmer oder Romanschreiber erreichen. Levine beweist, dass eine geschickte Dramaturgie über die Ich-Bezogenheit des Spielers Medien-übergreifend zu den effektivsten gehört. Daran rüttelt auch die verhaltene Inszenierung der Splicer nicht, welche zwar als lebendige Erweiterung des stark verkünstelten Raptures funktionieren, aber nie als Personen greifbar werden. Ihre größten Momente haben die einfachen Gegenspieler als horrende Kulisse, wenn sie von der Decke hängend über den Spieler herfallen oder dieser im undurchdringbaren Nebel nur ihre aus allen Richtungen hallenden Schritte wahrnimmt, um kurz darauf ins Antlitz einer entstellten Fratze zu blicken.