Doch zurück nach London. Nachdem bei Unity noch moniert wurde, dass man nicht mit einer weiblichen Figur spielen könne, zeigt Syndicate in dieser Hinsicht eine ganz andere Seite. Denn die nach Aveline (Liberation) zweite spielbare Frau Evie ist nicht nur eine fähige Assassinin. Sie wird nicht übersexualisiert, sondern ist ganz normal und kann ihrem Bruder mehr als nur Paroli bieten – sehr schön. Allerdings ist es im 21. Jahrhundert bedenklich, dass eine „normale“ Darstellung der Frau im Spiel noch besonders erwähnt werden muss. Andererseits macht es sich Ubisoft auch sehr leicht. Denn spielerisch ändert sich mit Evie eigentlich nichts. In der Fähigkeitenliste, die für die jedes der Frye-Geschwister separat geführt wird, finden sich größtenteils identische Ausbaumöglichkeiten. Die dafür notwendigen Skillpunkte sind gleich, die Auswirkungen ebenso. Es gibt sowohl für Jacob als auch für Evie drei exklusive Fähigkeiten, doch die Ergebnisse sorgen nicht für spielerische Unterschiede – auch wenn man mit dem Fokus Kampf (Jacob) und Stealth (Evie) Entsprechendes suggeriert. Daher ist es zwar löblich, dass man bei vielen Missionen die Wahl hat, wen man begleitet. Noch schöner wäre es gewesen, wenn diese Wahl in einer mechanischen Variabilität münden würde. Doch die beiden laufen gleich schnell, sind ebenso behände beim Überqueren von Hindernissen und liegen auch beim Klettern oder dem noch schneller ablaufenden „Abwärts-Parcour“ gleichauf. Sie können beide mit der gleichen Effektivität die neuen Kutschen lenken bzw. einnehmen oder den ebenfalls frischen mobilen Seilzug bedienen, der sie wie Batman in Gotham City in Sekundenschnelle in luftige Höhe zieht oder sie Häuserschluchten überqueren lässt.
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Lässt man ihre für Zwillinge erstaunlich differierenden Charakterzüge beiseite, kann man die Unterschiede auf addierte oder subtrahierte Teile der Anatomie und angepasste Kleidung herunterbrechen. Denn auch wenn Evie einen eleganten Gehstock mit versteckter Klinge im Nahkampf bevorzugt und Jacob klassisch auf einen Schlagring setzt, spielen sich die beiden auch in den brachialen Auseinandersetzungen weitgehend identisch. Da das Kampfsystem dazu noch mechanisch einen Schritt zurück macht, ist dies umso bedauerlicher. Mit dem Fokus auf Faustkampf hat sich Ubisoft bei einem Titel umgeschaut, der 2009 zum ersten Mal mit seinem Kampfsystem für Furore gesorgt und dies in drei Fortsetzungen verfeinert hat: Rocksteadys Batman. Doch wie so vieles in Syndicate bleibt man hier abermals an der Oberfläche und zelebriert einen Buttonmasher sondergleichen, der nur noch wenig mit dem Vorbild gemeinsam hat, das durch taktischen Einsatz von Konter und Blockdurchdringen eine ganz spezielle Dynamik entwickelte. Wenn man einigermaßen geschickt die Fähigkeiten aufrüstet, kommt man etwa in der Mitte an einen Punkt, an dem man wild auf den Schlagknopf hämmernd ohne auf den Bildschirm zu schauen auch mittlere Gruppen erledigen kann. Erst gegen Ende, wenn die Gegner stärker werden sowie in den Fight-Club-Aktivitäten kommt so etwas wie Batman-Feeling in den Gefechten auf. Nur, dass in Arkham und Gotham wesentlich dynamischer und schöner animiert gekämpft wird. Dafür wird die Brutalität der „händischen“ Auseinandersetzungen so intensiv inszeniert wie selten zuvor in der Serie. Vor allem bei Finishern erinnert Syndicate immer wieder an die Wucht der Kampfszenen in Guy Ritchies Sherlock Holmes mit Robert Downey Jr. und Jude Law. Allerdings wäre es noch eindrucksvoller, wenn die Kollisionsabfrage genauer wäre und die Assassinenklingen tatsächlich ins Fleisch oder in den Schädel eindringen würden, anstatt in der Luft neben dem Ohr oder dem Arm ausgefahren zu werden.
Kammerjäger gesucht
Doch diese Kollisionsabfragen sind nicht die einzigen technischen Probleme, die mir auf beiden Systemen in unterschiedlicher Frequenz und Intensität begegnet sind. Schon bei Unity haben sich die Stimmen gemehrt, dass die Qualitätssicherung unter dem Druck des Veröffentlichungstermines viele Bugs durchgelassen hat. Von denen sind mir damals beim Test nur sehr wenige begegnet. Hier hingegen geht es schon in der Anfangsphase mit Figuren los, die in Zwischensequenzen fehlen. Nicht nur irgendwelche Figuren. Nein, hier dreht es sich um Jacob und Evie. Die Kamera zeigt zwar dorthin, wo sie sich befinden müssten, doch gezeigt wird nur Leere – und ab und zu eine Waffe, die von Geisterhand durch die Kulisse bewegt wird. Kleinigkeiten wie die fehlende Anzeige der Hauptfigur auf der Minikarte oder NPCs, die
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auch durch „Anstuppsen“ nicht dazu bewegt werden können, ihren Endlosmarsch vor einer Mauer aufzugeben, sind zwar auch nicht schön, wirken sich aber immerhin nicht spielerisch aus. Ganz im Gegensatz zu dem unsichtbaren Gegner, der mich zwar angreifen und verletzen kann, gegen den ich aber keine Waffe zücken kann, weil Jacob oder Evie ihn nicht sehen.
Auch die nicht startenden Quest-Skripte sind ein Ärgernis. Ich soll einer Figur folgen. Ich folge ihr. Sie bleibt stehen, immer noch das „Folgen-Symbol“ über dem Kopf. Ich stehe neben ihr. Nichts passiert. Eine Minute. Zwei. Drei. Dreieinhalb. Ich werde des Wartens überdrüssig und starte vom letzten Kontrollpunkt neu – was insofern ärgerlich ist, da die initialen sowie nach jedem Scheitern nötigen Ladezeiten kein Pappenstiel sind. Aber egal. Ich folge der Figur wieder. Sie bleibt stehen. Ich stelle mich neben sie. Sie sagt etwas und die Mission kann weitergehen. Puh. Dass man hier keinen absoluten Gamebreakern begegnet, ist das eine. Dass dies leider keine Einzelfälle sind, ist das andere. Diese Schludrigkeit zeigt sich übrigens auch bei der Lokalisierung. Die Hauptfiguren sind klasse besetzt, werden hochprofessionell eingesprochen und sorgen wie in den letzten Jahren vom Start weg für viel Atmosphäre – auch wenn in manchen Szenen so wenig auf Lippensynchronität geachtet wurde wie selten zuvor in der Serie. Die Besetzung der Nebencharaktere, NPCs und Zivilisten geht ebenfalls in Ordnung. Und wo liegt dann das Problem? Ganz einfach: Die deutsche Lokalisierung ist unvollständig. Stellt man sich auf die Straßen, dringt aus der der einen Ecke Deutsch ans Ohr, aus der anderen Englisch. Ich glaube, Syndicate ist dadurch wider Willen das erste wirklich multilinguale Spiel.