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Assassin’s Creed Odyssey (Action-Adventure) – Erzählerisch starkes Familien-Drama

Mit Assassin‘s Creed Origins gab Ubisoft nach einer dringend nötigen kreativen Pause der langjährigen Serie eine neue Richtung. Noch offener und größer, dabei erzählerisch strukturierter und von frischen Elementen aus dem Action-Rollenspiel profitierend, konnte das Abenteuer im Ägypten zur Zeit Kleopatras durchweg unterhalten. Dass allerdings erneut nur ein Jahr später ein frisches Assassin‘s Creed in den Startlöchern steht, sorgt erstmal für Skepsis. Im Test verraten wir, ob es Ubisoft Quebec mit Odyssey gelungen ist, die Serie nochmals voranzubringen.

© Ubisoft / Ubisoft

Das zieht wie im Vorgänger seine Inspiration bei klassischen Hack & Slays und gibt den Waffen sowie Rüstungsteilen nicht nur eine von vier Seltenheitsstufen oder Set-Attribute, sondern auch Wertsteigerungen von bestimmten Waffentypen, Schadenstypen usw. Bei einem Schmied kann man gegen gesammelte Rohstoffe und verdiente Drachmen nicht nur die Ausrüstung von ihrer gegenwärtigen (ggf. verminderten) Stufe auf das aktuelle Level der Spielfigur bringen – ideal, wenn man an dieser oder jenen Waffe oder z.B. einem bestimmten Helm einen Narren gefressen hat und den Gegenstand nicht aufgeben möchte. Zusätzlich kann man weitere Boni einpflegen lassen und natürlich nicht benötigtes Zeug verkaufen. Wer allerdings wie ich seine legendären oder epischen Gegenstände nicht aufgeben oder zerlegen möchte, wird sich irgendwann mit einem ultravollen Inventar anfreunden müssen. Eine Lagerkiste oder ähnliches wird nicht angeboten. Sucht man dann z.B. ein bestimmtes Set, da man bei der einen oder anderen Mission damit einen leichten Vorteil genießen könnte, kann dies zu einem durchaus zeitaufwändigen Unterfangen werden. Ebenfalls bekannt aus Origins ist der Adler, der einem als Gefährte zur Verfügung steht und vor allem zur Erkundung bzw. Erkennung sowie Markierung von Zielen eingesetzt werden kann. Um sich bei der Eroberung von Lagern bzw. dem Auslöschen ganzer Gegnergruppen eine Übersicht über ihren Status oder Sonderfähigkeiten und ggf. sogar Belohnungen zu verschaffen, ist Ikaros wie auch sein Vorgänger (bzw. eigentlich Nachfahre) in Ägypten ein angenehmes Hilfsmittel. Schade ist aber weiterhin, dass man ihn quasi in seinem Flug einfrieren kann und er von Gegnern nicht wahrgenommen wird. So wird er zu einer Wohlfühl-Drohne degradiert, während er mit etwas mehr Feingefühl zu einem spannenden taktischen Spionagetool hätte werden können.

Mechanische Entscheidungen und Konsequenzen

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Die Kulisse lädt einen immer wieder zum Stehenbleiben und Genießen ein. © 4P/Screenshot

Dass Ubisoft hinsichtlich kampfmechanischer Änderungen oder Inventar-Optimierungen eher auf Sparflamme kocht, ist zwar das ganze Spiel über zu spüren, wird aber relativiert. Zum einen, weil die Kämpfe später deutlich überlegter geführt werden müssen als in der Anfangsphase, da das Ausweichen und der Konter zunehmend an Bedeutung gewinnen, um den ihrerseits mit wechselnden Angriffen sowie Gift- oder Feuer-Elementen attackierenden Gegnern begegnen zu können. Zum anderen, da die Waffenauswahl (zwei können jederzeit umgeschaltet werden) und der geschickte sowie zielgerichtete Einsatz der Spezialfähigkeiten als „taktisches“ Element verstärkt in den Kampffokus rücken. Zwar fordern Kämpfe gegen Standard-Gegner auf der gleichen Figurenstufe nur sehr selten, doch sobald Offiziere, Eliten oder Bosse mit von der Partie sind, kommt es zu spannenden Gefechten – auch wenn sich die KI mitunter als wenig überraschend und niemals in koordinierten Strukturen zeigt.

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In keinem Assassin’s Creed dürfen die Kameraschwenks nach Erklimmen eines wichtigen Aussichtspunktes fehlen. © 4P/Screenshot

Zum anderen setzt Ubisoft erstmals im großen Rahmen auf Entscheidungen und Konsequenzen. Es beginnt bereits mechanisch mit der Auswahl des bevorzugten Spielstils bei der Erforschung des riesigen Gebiets der griechischen Ägäis. Man kann wie bisher sein Missionsziel direkt anzeigen lassen und sich schnurstracks dorthin bewegen – wenn man den Ablenkungen der Spielwelt widerstehen kann. Interessanter ist jedoch der neue „Explorationsmodus“: Hier erfährt man in erster Linie über Gespräche etwas über die Zielorte. Je mehr man sich über das Missionsthema unterhält, umso mehr Hinweise bekommt man, bevor man sich über Kartenbetrachtung und entsprechende Wegpunkt-Setzung an das Ziel herantastet. Ist man schließlich in Reichweite angekommen, kann man den Adler nutzen, um die finale Markierung zu setzen. Durch dieses einfache Stilmittel gewinnt die in anderen Teilen quasi auf unsichtbaren Schienen verlaufende Welt von Assassin‘s Creed einen zusätzlichen Erkundungsreiz, der einen noch tiefer in das ohnehin visuelle eindrucksvolle Griechenland zieht. Ebenfalls gut und nach Origins überfällig: Man kann endlich gezielt Bildschirmanzeigen abschalten und auf diesem Wege die Immersion zusätzlich an seine Wünsche und Bedürfnisse anpassen – beim Vorgänger gab es nur ein paar mitunter inkonsequente Voreinstellungen, aus denen man wählen durfte. Apropos ausschalten: Hat man sich für Exploration entschieden, sollte man auf der Karte die Anzeige der von anderen Spielen aufgenommenen Fotos deaktivieren – auch um Spoiler zu vermeiden. Denn natürlich nehmen sie ihre Bilder häufig an Quest-relevanten Schauplätzen auf oder zeigen sogar Gegner.

Unmittelbare Entscheidungen, gnadenlose Konsequenzen


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In den Gesprächen warten viele kleine und große Entscheidungen, die sehr häufig relevante Konsequenzen nach sich ziehen. © 4P/Screenshot

Es geht weiter bei der Hauptfigur: Man ist entweder als Alexios oder als Kassandra unterwegs – ein alternativer Wechsel zwischen den beiden Geschwistern, wie er stellenweise in Assassin‘s Creed Syndicate angeboten wird, ist hier nicht möglich. Mangels weiterreichender Auswirkungen an dieser Stelle kann dies allerdings nur als kosmetische Konsequenz betrachtet werden: Beiden stehen der gleiche Fähigkeitenbaum, identische Kampfstile und nach unseren Mehrfachspiel-Erkenntnissen auch bis auf vernachlässige Ausnahmen der gleiche Missionspool zur Verfügung. Doch innerhalb der umfangreichen, hinsichtlich der Kameraarbeit allerdings sehr herkömmlich eingefangenen Dialoge, die sowohl in Englisch als auch in Deutsch einen durchweg guten bis sehr guten Eindruck hinterlassen, auch wenn mitunter die griechischen Dialekte überhand nehmen, kann man schwerwiegende Konsequenzen erleben. Sehr schön: Man wird nicht nur mit umgehenden Auswirkungen konfrontiert wie z.B. bei einer Entscheidung, ob man jemanden am Ende einer Mission tötet oder nicht und dann entsprechende Reaktionen seiner Familie erntet. Oder wenn man jemanden in einem Gespräch bedroht, um sein Ziel zu erreichen bzw. schmeichelt, um ihn oder sie ins Bett zu kriegen – im antiken Griechenland ist bisexuelle Promiskuität mit keinem gesellschaftlichen Stigma belegt. Mindestens ebenso häufig kommt es vor, dass einem langfristige Resultate präsentiert werden, die einen sehr häufig emotional beschäftigen und einen bei den nächsten Gesprächsoptionen eher zögernd reagieren lassen.