Nahtlos fortgesetzt
Wer den oder besser noch: die Vorgänger nicht gespielt hat, wird mit der Geschichte in Assassin’s Creed Brotherhood (ACB) vermutlich etwas überfordert. Auch wenn ein für HD-Systeme zu niedrig aufgelöstes Video sich redlich bemüht, Licht in die komplexe Vorgeschichte zu bringen, die das Leben eines gewissen Desmond Miles mit denen seiner Vorfahren Altair (im Jerusalem des Mittelalters) sowie Ezio Auditore da Firenze (im Italien der Renaissance) verbindet. Doch letztlich ergibt die futuristisch angehauchte Hauptstory um den ewigen Kampf zwischen den so genannten „Assassinen“, einer Gruppe freiheitsliebender Rebellen auf der einen sowie den „Templern“, einer Macht bessenenen Organisation auf der anderen Seite, in einer Zusammenfassung nur wenig Sinn. Vor allem der immense ideologische Wert, der dem Apfel, einem der so
genannten „Edensplitter“ zukommt, also besonderen Artefakten, die von den Templern genutzt werden können, um die Menschheit zu unterjochen, bleibt unklar. Wie auch die Erfindung und Nutzung des so genannten „Animus“, einer Maschine, mit deren Hilfe der Spieler quasi in die Körper seiner Ahnen schlüpfen kann, um ihre Abenteuer nachzuerleben. Und wenn man schon nicht den ersten Teil gespielt hat, sollte man dennoch mit dem zweiten Teil vertraut sein. Denn ACB baut nicht nur auf dessen spielerische Elemente auf, sondern setzt inhaltlich genau dort an, wo das Abenteuer von Ezio endete: In der an Tron erinnernden Kammer, in der die digitale Göttin Minerva mit ihm spricht, nachdem er den zu den Templern gehörenden Papst in Rom besiegt hatte.
Krise in Gegenwart und Vergangenheit
Doch wie sich herausstellen sollte, ist der Papst nicht tot und der Edensplitter in Apfelform nicht so sicher gelagert wie angenommen. Die Auditore-Villa in Monteriggioni wird in einer eindrucksvollen interaktiven Massenschlacht samt Eroberungstürmen etc. von den Borgia-Brüdern als Hauptantagonisten überfallen, Ezios Onkel wird getötet, der Apfel fällt in die Hände der Bösen und Ezio muss mit seiner Schwester und Mutter nach Rom fliehen.
In der Gegenwart sieht es nicht besser für Desmond aus, die Lage hat sich auch hier zugespitzt: Das mächtige HighTech-Unternehmen Abstergo, hinter dem die Templer stehen, hat das Versteck Desmonds entdeckt, so dass einer der letzten aktiven Assassinen mit seinen Freunden und einem portablen Animus fliehen muss. Wohin, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten – nur so viel sei gesagt: Es ist schön zu sehen, dass Ubisoft Montreal mit dem neuen Versteck Desmonds einen erzählerischen Kreis schließt.
Überhaupt muss man zugestehen, dass die Kanadier erzählerisch einen Zahn zulegen. Die Figuren von Ezio, seinen Freunden und vor allem seinen Feinden sind klar definiert. Die Dramaturgie ist deutlich gestrafft, verzichtet auf unnötigen Ballast des Vorgängers und nimmt im letzten Viertel der Hauptmissionen bis zum emotionalen Finale enorm Fahrt auf. Und es gelingt, nicht nur einen erzählerischen Abschluss der Ezio-Saga zu finden, sondern auch Anknüpfungspunkte zum ersten Teil rund um Altair sowie die Gegenwartsgeschichte um Desmond zu schaffen. Damit wird die Neugier auf den „offiziellen“ dritten Teil erfolgreich geschürt.
Visuelle Verfeinerungen und Stagnation
Die verbesserte Dramaturgie wird auch durch die in nahezu jeder Hinsicht verfeinerte Kulisse unterstützt, wobei sowohl die geheimen Hauptdarsteller (die Architektur und Leveldesign) als auch die virtuellen Schauspieler davon profitieren. Während Letztere vor allem durch vielfältigere und verbesserte Mimik auf sich aufmerksam machen, zeigen Erstere sehr viele neue Details, die das Erforschen der ewigen Stadt immer wieder zu einem Erlebnis machen.
Dass man im Vergleich zu den anderen Teilen der Serie im Wesentlichen auf eine Stadt (Rom) beschränkt ist, wird zum einen durch deren enorme Größe und zum anderen durch die noch unterschiedlicher ausfallenden Gebiete und Stadtteile ausgeglichen. Man möchte Prunk wie in Venedig oder Jerusalem? Bekommt man – in Vatikannähe! Auch die Armenviertel, Märkte, weitläufige Landstriche, Gebirgszüge oder Ruinen (war Rom schon zur Renaissance derart verwahrlost?) locken zum genussvollen Erforschen.
Doch es gibt auch einige Mankos, die nach wie vor auffallen: Dazu gehören z.B. die im Vergleich zu den Hauptdarstellern mittlerweile noch stärker zurückfallenden NPCs, die die Straßen bevölkern und ihrem meist aus Hin- und Herwandern bestehendem Tag- oder Nachtwerk nachgehen.
Sie sind bei weitem nicht so aufwändig gestaltet oder animiert wie die Hauptfiguren und setzen sich bei genauem Hinsehen aus den immer wieder gleichen Kostüm- und Gesichts-Bauteilen zusammen. Der Eindruck einer lebendigen Stadt wird dadurch jedoch nur wenig geschmälert. Eher schon von Aussetzern wie dem bekannten kollektiven Hinsetzen auf Bänke etc., wenn man mit Ezio eine bestimmte Sichtgrenze überschritten hat. Oder auch die obligatorischen Zivilisten, die nichts Besseres zu tun haben, als gegen eine Wand zu laufen oder ihr Pferd in einem ewigen Kreis zu reiten und dabei alle anderen Passanten aus dem Weg treiben.
So wird man immer wieder ein wenig aus der Illusion der Renaissance herausgerissen. Und das deutlich mehr als durch die vor allem in ländlichen Ebenen starken Pop-Ups, die ins Bild ploppenden Schatten oder das gelegentliche Tearing, die in ihrer Summe aufzeigen, um welchen Preis das glanzvolle Rom visuell erkauft wurde. Aber: Sowohl die technischen Macken als auch die Klon-Zivilisten haben nur wenig Einfluss auf den Spaß, den Unterhaltungswert und die Motivation.