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Anthem (Shooter) – Im Kampf gegen den Durchschnitt

Angekündigt auf der E3 2017 hängt Anthem trotz Bioware als Entwickler vom Start weg der Ruf an, nur die Antwort von Electronic Arts auf Destiny zu sein. Ein Eindruck, der sich in der technisch unsauberen Beta sowie in unserer Vorschau erhärtete. Doch wie präsentiert sich die finale Version? Wir sind seit dem Frühstart auf PC und One dabei und verraten euch im ersten Teil des Tests, wie es uns als Pilot der Javelin-Kampfanzüge erging.

© BioWare / Electronic Arts

Wieso mehrteilig?

Bevor wir in den Javelin-Anzug einsteigen und den Test beginnen, eine kurze Erklärung zur gestaffelten Veröffentlichung: Wir haben uns aus mehreren Gründen für diesen Schritt entschieden. Eine eher untergeordnete Rolle hat dabei der Umfang gespielt. Zwar sind für die Wertungsfindung auch Erfahrungen aus den späten Midgame- bzw. Endspiel-Inhalten nötig, während die Basis-Mechaniken oder Erzählstrukturen schon jetzt, nach einer gespielten Woche, für einen Test ausreichen würden und einer der Hauptbestandteile dieses ersten Teils sind. Doch wichtiger ist uns auch die Server-Performance.

Wir erinnern uns: Während der Betaphasen kam es eigentlich auf allen Systemen zu technischen Problemen, Abbrüchen etc. Dementsprechend möchten wir u.a. beobachten, wie die Server unter der Volllast der Release-Phase arbeiten, wie das Matchmaking mit vermeintlich ausgelasteten Servern funktioniert und einiges mehr. Zudem sind uns in der ersten Woche einige (wenngleich bei weitem nicht alle in den Patchnotes beschriebenen) Mankos oder Fehler begegnet, die mit dem Day-1-Patch zur Veröffentlichung behoben werden sollen. Wieso einiges davon nicht in der Betaphase auffiel, wie die teils exorbitanten Ladezeiten, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Ob man alle Probleme ausräumt oder ob vielleicht sogar durch den Patch neue auftauchen, werden wir ebenfalls erst im abschließenden Teil des Tests beantworten.

Nur ein Jetpack-Destiny?

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Auch zum Ende der Early-Access-Phase und dem nahtlosen Übergang in die finale Release-Version sind Verbindungsabbrüche noch nicht komplett ausgeräumt. © 4P/Screenshot

Angesichts der mechanischen Struktur sowie des Konzepts von Anthem vergleichen wir es häufiger mit Bungies Destiny, dessen Markenrechte kürzlich von Activision an die Entwickler abgegeben wurden. In diesen Fällen sprechen wir von der Veröffentlichungsversion von Destiny bzw. Destiny 2 („Vanilla“) ungeachtet der jeweiligen Add-Ons. Und ein Punkt, in dem Anthem klar vorne liegt, ist die Erzählung bzw. das geschichtliche Fundament. Natürlich ist dies der Bioware-DNA geschuldet, die hier zwar auch noch spürbar ist, die aber angesichts von Erzählstrukturen oder Charakterzeichnungen in Dragon Age oder Mass Effect, das mit seinem Sci-Fi-Ansatz recht nah an Anthem liegt, verwässert wirkt. Dennoch: Die Geschichte um die Welt Bastion und das „Anthem der Götter“, das mit seinen antizyklischen Naturgewalten und seiner innewohnenden Macht ein reizvolles Kontrollobjekt für alle Fraktionen ist, bietet ein grundsolides Fundament, einen ordentlichen Einblick in das dahinter liegende Universum und wird deutlich interessanter präsentiert als seinerzeit bei Destiny. Dort gab es zwar auch viel dessen, was man gerne als „Lore“ bezeichnet. Doch dass man sich dies umständlich über die Website abholen musste, hat massiv gestört. Hier bekommt man wichtige Erzählpassagen über aufwändige Rendersequenzen, Bioware-typisch über Gespräche mit anderen Figuren sowie eine umfangreiche, aus dem Spiel aufrufbare Enzyklopädie, für die man u.a. über Sammelkram in der Umgebung neue Einträge freischalten kann.

Noch stärker als Destiny setzt man dabei auf eine „Einzelspieler-Erfahrung“: Ist man in Egosicht in der Heimatbasis Fort Tarsis mit seinen Händlern, Tavernen und Zivilisten unterwegs, spielt man quasi ein Solo-Actionrollenspiel in seiner eigenen Instanz, dessen Kulisse sich abhängig von Entscheidungen und Missionsausgängen verändern kann. Man bewegt sich frei durch die Stadt, die zwar architektonisch interessant gestaltet wurde, aber nur wenig Interaktion an markierten Positionen bietet und deren Bewohner mit ihrer Statik in entscheidenden Momenten immer wieder zu leblos wirken. Was in den ersten Ausflügen

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Während Anthem solo schnell seinen Reiz verliert, können die dynamischen Gefechte im Team durchaus unterhalten. © 4P/Screenshot

noch imposant scheint, entpuppt sich bald als Fassade, um einen letztlich zum nächsten Auftrag zu lotsen, damit man seinem Beruf als „Freelancer“ nachgehen kann – quasi ein Söldner, der für verschiedene Fraktionen Aufträge erledigt und als Frontkämpfer vor die Mauern von Fort Tarsis zieht, um sich dort Bedrohungen zu stellen. Immerhin: Die Unterhaltungen bieten immer wieder Abzweigungen in den Dialogen, von denen einige sogar zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können und die ungeachtet der Gesprächsführung der Anthem-Geschichte einen weiteren Mosaikstein hinzufügen. Dennoch lässt Bioware hier viel Potenzial liegen und ist eigentlich nur noch ein Schatten seines erzählerischen Selbst. Obwohl die Geschichtchen durchaus spannend oder emotional sind, interessante Figuren zeichnen und einen angenehmen Tempowechsel zu den hektischen Kämpfen der „Außenwelt“ darstellen, wirken sie zu bruchstückhaft und wie Lückenfüller. Vielleicht, weil sich die stattfindenden Auswirkungen nur selten bemerkbar machen, man (vermutlich aus Balance-Gründen) in keine erzählerischen Sackgassen gelangen kann und nach zig Stunden die Gespräche teils nur führt, weil sie zusätzliche Punkte für diese oder jene Fraktion versprechen. Dass diese zumindest nach etwa 15 Stunden keinerlei interne Konflikte mit sich bringen, so dass man sich für eine (oder zwei) entscheiden müsste, zeigt ebenfalls, wie weit sich Bioware von seiner erzählerischen Klasse entfernt hat.