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Anthem (Shooter) – Im Kampf gegen den Durchschnitt

Angekündigt auf der E3 2017 hängt Anthem trotz Bioware als Entwickler vom Start weg der Ruf an, nur die Antwort von Electronic Arts auf Destiny zu sein. Ein Eindruck, der sich in der technisch unsauberen Beta sowie in unserer Vorschau erhärtete. Doch wie präsentiert sich die finale Version? Wir sind seit dem Frühstart auf PC und One dabei und verraten euch im ersten Teil des Tests, wie es uns als Pilot der Javelin-Kampfanzüge erging.

© BioWare / Electronic Arts

Ursprüngliches Fazit vom 22.02.2019:



Man spürt, dass in Anthem eine durchaus interessante Alternative zu einschlägiger Koop-Action im Stile von Destiny oder The Division heranwachsen kann – wobei sich Biowares Shooter auch mit Free-to-Play-Titeln wie Warframe messen muss. Die Mischung aus storyfokussierten Solo-Instanzen in Fort Tarsis samt oberflächlicher Dialogoptionen auf der einen sowie der Action in der Welt von Bastion auf der anderen Seite birgt Potenzial. Die Geschichte wird ordentlich inszeniert und kann sich gegen die Mär um den Wächter in Destiny durchsetzen, ist angesichts des Entwicklerstudios aber dennoch unterwältigend und lässt viele Chancen ungenutzt. Mit vier angenehm unterschiedlichen Jetpack-Kampfanzügen scheint genug Abwechslung geboten, um in den dynamischen Gefechten idealerweise mit einer eingespielten Gruppe, aber auch mit wahllos zusammengewürfelten Gleichgesinnten Spaß zu haben. Solo hingegen reduziert sich der Unterhaltungswert deutlich. Neben technischen Schwierigkeiten, die auch vom ersten großen Patch zur Veröffentlichung nicht ausgeräumt wurden, wirkt Anthem auch inhaltlich unfertig. Die Weltevents nutzen sich ebenso schnell ab wie das „freie“ Herumfliegen, Ressourcensammeln oder Kämpfen  im Allgemeinen. Zwar hat man für März bereits das erste große Inhaltsupdate namens „Akt 1“ geplant. Doch damit wird nur unterstrichen, dass die Sci-Fi-Action gegenwärtig nicht mehr als ein ambitionierter Prolog zu sein scheint. Natürlich darf man dabei nicht vergessen, dass auch Destiny zum Start nicht gerade üppige Inhalte bot. Doch angesichts der Erwartungen, die trotz der spröden Betaphase geschürt wurden, ist Anthem in der gegenwärtigen Form in der Summe seiner Einzelteile nicht mehr als ein befriedigender Koop-Shooter.

Test-Update vom 27.02.2019: Finale. Endgame. Und der Rest.



Nach etwa 22 Stunden war die Story von Anthem beendet – mein Pilot war zu diesem Zeitpunkt auf Stufe 18, die Levelbeschränkung liegt hier derzeit auf 30. Das Finale bzw. der Weg dorthin war zwar wie einige andere Teile der Story

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Die Gefechte werden kurzweilig sowie effektvoll inszeniert. © 4P/Screenshot

durchaus ansprechend inszeniert, inhaltlich aber vor allem bei der Charakterzeichnung weiterhin ein gutes Stück von dem entfernt, was man eigentlich von Bioware erwarten könnte. Ich habe mir als dritten Javelin den schweren Colossus geleistet. Der Ranger, der mir noch fehlt, um das Quartett in der Garage zur Verfügung zu haben, folgt mit Stufe 26, also bald. Doch den habe ich schon in der Beta-Version genug gespielt, um zu wissen, dass ich diese Allrounder-Klasse eher selten nutzen werde – wohl nur, um Beute für ihn zu ergattern. Der Colossus hingegen, der mit seinem etwas trägeren Verhalten, seinem Bereichsschaden generierenden Nahkampfangriff sowie seinen mächtigen Waffen und dem Schild der perfekte Frontkämpfer ist, während sein Gewicht auch vor dem Bildschirm spürbar ist, gefällt mir. Mit allen vier Javelins ist Bioware jedoch in der Summe eine durchaus ansprechende Vielfalt gelungen, die unterschiedliche Spielstile zufrieden stellt und in einer Gruppe individuelle eine passable Rolle spielen kann.

Wenn jetzt auch noch der Shooter per se über biedere Durchschnittswerte hinauskommen würde, könnte man vielleicht sogar die fehlenden Inhalte der „Endgame-Phase“ verschmerzen. Denn die schon schnell zur Routine werdenden und damit massiv Richtung Grind gehenden gerade mal drei Strongholds sind ebenso wenig geeignet, um mich längerfristig zu motivieren wie die Aufträge oder Legionärsmissionen, die man nach Kampagnenabschluss abrufen kann. Letztere fordern einen übrigens nur dazu auf, entweder an Welt-Events, dem freien Spiel oder eben den Strongholds teilzunehmen – oder sich per „Schnellem Spiel“ in die Missionen anderer einzuklinken – was auf Dauer auch zu einer Wiederholung schon mehrfach bekannter bzw. gespielter Inhalte führt. Ein weiteres Problem: Obwohl das Lancer-Motto eigentlich „Alleine stark – gemeinsam stärker“ ist, hat man auf der großräumigen Karte auch im freien Spiel eigentlich immer das Gefühl, alleine unterwegs zu sein.

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Der erzwungene Teleport ist nur theoretisch eine gute Idee, um Nachzügler wieder an die Front zu bringen. In der Praxis ist die damit verbundene Ladezeit meist deutlich höher als der Aufwand, den die Reise tatsächlich in Anspruch nehmen würde. © 4P/Screenshot

Wo man in Destiny im „Freeplay“ eigentlich nie weit von einem anderen Spieler entfernt ist, fühlt man sich hier schnell isoliert. Wie soll auch ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen, wenn man sich auch in diesem Modus in Bastion nur mit drei weiteren Spielern die Karte teilt?

Die Technik zickt


Als ob die auf Dauer nicht ausreichenden Inhalte nach der Kampagne schon genug wären, um das Shooter-Erlebnis zu schmälern, das mich schließlich auch an die PvE-Gefechte des Mass-Effect-Multiplayers erinnerte (sollte Anthem vielleicht an irgendeinem Punkt in der Entwicklung eine Art „Mass Effect Online“ werden, bevor Andromeda zerschellte?), hat man auch die Server selbst mit Patch 1.0.2 nicht im Griff. Questtrigger, die nicht aktiviert werden. Abbrüche, teils beim Einladen der finalen Filmsequenz (!) einer Mission, die einen wieder auf den Startbildschirm werfen und dafür sorgen, dass man die Aufgabe nochmal angehen muss, aber immerhin die bis dahin verdiente Erfahrung behält. Lags, die auch mit dem aktuellen Patch auftauchen und im schlimmsten Fall dafür sorgen, dass man weder vernünftig fliegen noch ordentlich kämpfen kann. Und die Funktion, dass (aus welchen Gründen auch immer) zurückfallende Javelins zu ihrem Team teleportiert werden, ist nur konzeptionell gut.