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Wargame: European Escalation (Taktik & Strategie) – Wargame: European Escalation

Was wäre passiert, wenn der Kalte Krieg konventionell eskaliert wäre? NATO und Warschauer Pakt hätten auch ohne Atomwaffen ein Schlachtfeld aus Deutschland gemacht: In Wargame geht es um diesen hypothetischen Konflikt vor dem Fall der Mauer. Man führt abwechselnd Truppenverbände der beiden mächtigen Militärbündnisse zwischen 1975 und 1985.

© Eugen Systems / dtp

Der Fall Werner Weinhold

[GUI_PLAYER(ID=85782,width=400,text=Wargame entführt in ein Jahrzehnt des Kalten Krieges. Die Entwickler von Eugen Systems haben 2005 mit Act of War (Wertung: 83%) überzeugt, im Jahr 2010 gelang ihnen mit R.U.S.E. (Wertung: 87%) ein Überraschungshit.,align=right)]Das Spiel startet im Dezember 1975, als ostdeutsche Truppen über die Grenze eindringen. Warum? Weil sich die Bundesrepublik weigert, einen ehemaligen Soldaten der DDR namens Weinhold auszuliefern, der zwei Kameraden erschossen hat und dann in den Westen geflüchtet ist. Schon in der ersten Mission kämpfen Bundeswehr und Briten also gegen die NVA, die bereits Brückenköpfe bildet. Deutsche gegen Deutsche, eine Welt vor dem atomaren Desaster – da müsste doch tragische Spannung  in der Kampagne aufkommen!

Nein, man bewegt seine Truppen schon nach wenigen Missionen ohne Regung, denn die Präsentation ist schrecklich steril. Es geht auch nicht um Krieg im großen Maßstab mit hunderten Einheiten, sondern um regionale Konflikte. In denen befehligt man etwas mehr als ein Dutzend Einheiten im begrenzten Gelände, ohne dass man Einfluss auf die militärische Situation in Europas Mitte hätte – schade, dass es keine übergeordnete geostrategische Ebene gibt. Trotz des interessanten Konfliktes und deutscher Sprachausgabe will jedenfalls keine Atmosphäre aufkommen.

Trotz kleiner Filmschnipsel will keine Stimmung aufkommen.
Trotz kleiner Filmschnipsel will keine Stimmung aufkommen – die Präsentation ist zu steril. © 4P/Screenshot

Das liegt nicht nur daran, dass keine Personen auf der Bühne des Kalten Krieges erscheinen, weder Politiker noch Militärs – man hat es quasi mit einem anonymen Befehlsgeber sowie außenpolitischen Nachrichten zu tun, die unspektakulär in der Leiste eines Hauptquartiers durchlaufen. Selbiges ist übrigens ein Armutszeugnis für das Artdesign und hinsichtlich der Übersicht ein Graus: Ein statischer Riesenraum ohne Animationen mit zig Monitoren, der sich noch nicht mal farblich verändert, wenn man von der NATO zum Warschauer Pakt wechselt. Und nach einem Sieg begrüßt einen kein General, sondern eine Tabelle mit Zahlen.

Ideologischer Seitenwechsel

Dass die Kampagne nicht wirklich motiviert liegt auch daran, dass manche Elemente der Story wie historisches Patchwork, aber eben nicht glaubwürdig erzählt wirken: Warum sollte die NVA für einen Soldaten den Dritten Weltkrieg riskieren? Und wieso sollten sich die Russen raushalten, wenn es zu Gefechten an der deutschen Grenze kommt? Mit diesem fiktiven Rahmen kann man sich zwar arrangieren, aber innerhalb des Spiels sorgt der billige, sich viel zu oft wiederholende Sprechfunk der deutschen Truppen ebenfalls für Kopfschütteln – als würden Offiziere im Angesicht des Dritten Weltkriegs  noch dumme Sprüche wie „Ein guter Feind ist ein toter Feind!“ klopfen und ihre Feinde als „Ratten“

Das statische Hauptquartier versprüht den Charme einer Exceltabelle.
Das statische Hauptquartier versprüht den Charme einer Exceltabelle. © 4P/Screenshot

beschimpfen.  All das sorgt nicht gerade für authentische Kommandostimmung; gut, dass später Russisch gesprochen wird.

Schön ist, dass man im Laufe der Kampagne auch die Seiten wechselt: Nachdem man die NVA abgewehrt und tatsächlich ein Frieden in Stockholm geschlossen wird (bei dem sich die NATO laut Story komplett vom Gebiet der Bundesrepublik zurückzieht, was vollkommen abstrus ist), brodelt es in den 80er-Jahren in Polen: Lech Walesa, Arbeiteraufstände, Angriffe auf russische Kasernen. In dieser Phase übernimmt man dann in mehreren Missionen den sowjetischen Gegenstoß, um die Aufständischen niederzuschlagen. Hat man das gemeistert, führt man die Amerikaner an, bevor es zum letzten Kapitel einer zähen Kampagne geht, in der sich die Fraktionen zu ähnlich spielen.