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The Westport Independent (Simulation) – Endspurt für die Pressefreiheit

Wollt ihr die öffentliche Meinung so manipulieren, dass es zum Bürgerkrieg kommt? Nein, ihr müsst dafür kein Dschungelcamp mit Yogi Löw und Joachim Gauck organisieren, sondern eine Zeitung verlegen – inklusive Überschriftenmanipulation und Zensur. Für knapp zehn Euro lädt das Team von Double Zero One Zero zu einem heiklen Tanz mit der Pressefreiheit . Mehr dazu im Test.

© Double Zero One Zero / Coffee Stain Studios

Die Wahrheit ist relativ

Außerdem darf man jeden der bis zu vier Absätze mit Fakten darunter löschen, so dass vielleicht nur die halbe Wahrheit veröffentlicht wird – so kann man die Überschrift z.B. nochmal im Sinne der Opposition stärken, indem man unterschlägt, dass der Teenager vorher Rebellen-Propaganda an die Wand malte. Dann weist man jeden der vier Artikel einem Redakteur zu, der sie finalisiert und die Zeitung wird gedruckt. Sofort zeigt eine Statistik nicht nur an, wie sie sich in der Woche in den Northern Suburbs, Western Districts, Eastern Factories und Southern Docks verkauft hat.

Hinzu kommt auch, wie sich dadurch die aktuelle politische Meinung geändert hat. Schön ist, dass es eine recht

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In vier Stadtvierteln wirkt sich die Wochenzeitung politisch aus. © 4P/Screenshot

klischeelastige, aber gesellschaftlich differenzierte Ausgangssituation mit unterschiedlichen Vorlieben sowie politischen Ansichten gibt: Im bevölkerungsreichen Süden der Arbeiter steht man der Regierung eher skeptisch gegenüber und liest am liebsten Artikel über Promis, während man im elitären Norden eher Artikel mit wirtschaftlichen Themen bevorzugt. Kann man die versnobbten Leute dort von der Rebellion überzeugen?

Aber auch das Misstrauen der Regierung steigt mit jeder veröffentlichten Wahrheit – und diese Leiste sollte man besonders im Auge behalten. Denn wer seine Botschaft nicht subtil genug veröffentlicht, gerät schnell ins Visier des Staates und muss mit dem frühzeitigen Ende rechnen. Richtig gut ist, dass dieser irgendwann auch einzelne Redakteure auf dem Kieker hat, was ebenfalls in Form einer individuellen Misstrauensleiste angezeigt wird – um sie zu schützen, sollte man ihnen nur noch weiche Themen zuweisen. Man balanciert seine Artikel und ihre Redakteure also über zwölf Ausgaben so aus, dass die Lage nicht zu früh eskaliert, aber trotzdem genug Wahrheit ans Licht kommt, dass die Bevölkerung ihre Meinung ändert.

Wie viel Zeit habe ich noch?

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Schade: Die eigenen Mitarbeiter bleiben trotz persönlichem Profil und Mittagspausentalk eher blass – man vermisst mehr Interaktion sowie Identifikation. © 4P/Screenshot

Allerdings gerät man abseits der rein redaktionellen Abwägungen sowie politischen Überlegungen nicht in größere Gewissenkonflikte. Es gibt keine Familie im Hintergrund, die sich vielleicht Sorgen macht oder versorgt werden müsste. Obwohl die eigenen Redakteure Julie, Phil, Frank und Anne ein persönliches Profil samt Wohlfühlanzeige sowie politischer Gesinnung haben, darunter sowohl regierungstreue Loyalisten als auch Rebellen-Sympathisanten, entsteht auch hier kaum eine emotionale Bindung. Zwar lehnen diese mitunter ihnen zugewiesene Themen ab, was gut ist, aber es gibt weder persönliche Gespräche oder direkte Interaktionen abseits vom Zwang zur Berichterstattung. Sie bleiben letztlich Scherenschnitte in den Mittagspausengesprächen, die zwar witzig oder bedrückend, aber manchmal willkürlich und langweilig sein können – vor allem, wenn man schon einen Durchgang erlebt hat, wiederholt sich alles viel zu schnell.

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Gelingt es in den zwölf Wochen, die öffentliche Meinung für die Rebellen zu beeinflussen und dabei nicht zu viel Misstrauen zu erregen? © 4P/Screenshot

Es gibt auch keinen Verleger, der die eigene Zeitung wirtschaftlich beurteilt und vielleicht einen anderen Preis oder Kurswechsel verlangt, weil sich das Blatt schlechter verkauft. Die externe Beeinflussung durch sowie Hofberichterstattung für Werbekunden wird ebenfalls nicht thematisiert. Es gibt also keinerlei finanzielle Elemente, obwohl das Spiel ja Zeitungsmanagement suggeriert – eine hohe Auflage erzielt man einfach damit, dass man die beiden Kernthemen eines Stadtteils thematisch abdeckt, was auf Dauer sehr durchschaubar ist. Das einzige Feedback kommt über Briefe von verärgerten Firmen, Promi-Agenten oder der Regierung, die sich mal süffisant, mal arrogant oder auch drohend über die Berichterstattung aufregen – was nicht nur lustig, sondern auch recht nah an die Realität der heutigen Arbeit von Journalisten herankommt, wenn sich PR & Co z.B. über „die Tonalität im Text“ beschweren.