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E.Y.E: Divine Cybermancy (Shooter) – E.Y.E: Divine Cybermancy

Turmhohe Obelisken strecken sich in einen goldgelben Schleier. Es könnten gigantische Grabsteine sein, die zu Dutzenden in den Sonnenaufgang ragen. „Schon wieder der gleiche Traum“, untertiteln meine Gedanken die Szene. „Was tu‘ ich hier?“ Und tatsächlich: Selten haben die ersten Worte ein Spiel so treffend beschrieben wie diese.

© Streum On Studios /

Es ist deine Welt!

Umso schwerer wiegt die Entscheidung: Will ich der moralinsaure Apostel sein, wenn mich ein Sklavenhändler um Hilfe bittet? Natürlich kann ich dafür sorgen, dass seine „Ware“ nicht bei dem stinkenden Dreckskerl ankommt. Ich könnte ihn sogar erschießen. Seine wichtige Hilfe bleibt mir dann allerdings verwehrt. Oder soll ich mich auf das Niveau des kriminellen Abschaums begeben und dessen dreckige Wäsche waschen? Gelegentlich hat man dadurch leichtes Spiel. So knifflig können Entscheidungen sein! Richtig erschreckend, wie viel – Verzeihung – Schiss die restliche Spielewelt meist vor solchen packenden Dilemmas hat.

Allerdings muss sich auch E.Y.E den Vorwurf gefallen lassen, dass die Ergebnisse solcher Unterhaltungen und daraus folgender Kurzaufträge insgesamt kaum spürbar sind. Natürlich ändern sich kleine Handlungsfolgen: Man geht hier mal einen anderen Weg, erledigt dort ein leichteres Ziel und entscheidet letztlich über den Ausgang der Geschichte. Erzählerisch und spielerisch hatte ich aber fast nie das Gefühl, dass gerade überhaupt etwas passiert ist.

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Aller Einstieg ist schwer: Wer nicht aus dem Nichts begreift, worum es in E.Y.E geht – erfährt es auch in den Menüs nicht ohne Weiteres.


Sein oder Schein?

Woran liegt das? Immerhin entsteht aus den trockenen Textfenstern irgendwann das interessante Bild einer spannenden Verschwörung in einem unheimlichen Dystopia: Man übernimmt die Rolle eines Agenten der Secreta Secretorum – eine Vereinigung von Wächtern, die in mythologisch anmutenden Rüstungen für Recht und Ordnung sorgen wollen. So gerät man nicht nur in den Krieg zwischen einer Welten umspannenden Föderation und einer geheimnisvollen Macht, auch in den eigenen Reihen stößt man auf Intrigen. Kann ich nicht einmal meinem eigenen Mentor noch Glauben schenken? Hat man die Grundlagen erst einmal durchschaut, entdeckt man hinter den eigenwilligen Kulissen ein faszinierendes Universum zwischen Mythologie, Fantasy und Science Fiction: Die Basis der Secreta-Wächter etwa ist ein Tempel, dessen hunderte Meter hohe Mauern aus dicken Steinblöcken errichtet wurden, futuristische Lichtportale dienen dort als Türen. In den Straßen der Einsatzgebiete parken Oldtimer-ähnliche Fahrzeuge, Reklame leuchtet an Hauswänden, heimtückische Laser suchen lautlos nach Zielen.

Doch das ist alles Augenwischerei! Nichts, gar nichts bewegt sich hier. Fremdartige Tiere kreuchen über den Asphalt – das ist aber auch schon alles. Egal, wie es das Spiel erklärt: Den Kulissen fehlen Menschen, fahrende Autos, irgendetwas, das den Eindruck von Leben vermittelt. Irgendetwas, das mir die Ergebnisse meiner Unterhaltungen und Taten auch abseits von Missionszielen vor Augen führt.

Die Technik, die auch Half-Life 2 und Left 4 Dead befeuert, reißt keine technischen Bäume aus, stellt aber plastische Kulissen dar. Das nützt aber nichts, wenn die Entwickler fast ausschließlich rechtwinklige Supermarktgänge aneinander setzen! Bei allem Verständnis für die Einschränkungen eines kleinen Teams: Ich konnte diese Spielewelt zu keinem Zeitpunkt als glaubwürdig empfinden. Sie ist ein reines Selbstzweck-Terrarium, in dem gelegentlich ein Charaktermodell starr am Fleck weilt, auf dass ich dort bitte einen Dialog abrufe.