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Expeditions: Viking (Taktik & Strategie) – Stückwerk statt epische Saga

Vor vier Jahren machten Logic Artists mit Expeditions: Conquistador auf sich aufmerksam. Die Dänen inszenierten auf dem PC ein etwas sperriges, aber solides historisches Abenteuer mit rundentaktischen Kämpfen im Mexiko des 16. Jahrhunderts. Diesmal schlüpft man nicht in die Rolle von spanischen Konquistadoren, sondern kämpft mit Nordmännern des frühen Mittelalters im ausgehenden 8. Jahrhundert. Wie sich Expeditions: Viking schlägt, verrät der Test.

© Logic Artists / EuroVideo und IMGN.PRO

Wirtschaft kaum spürbar

Das Wirtschaftssystem mit seinen eintauschbaren Rohstoffen wie Leder, Fleisch & Co und der universellen Währung „Wertsachen“ ist kaum spürbar. Man kommt viel zu lange auch klar, ohne clever zu handeln oder seine Basis zu entwickeln. Auch das Crafting beim heimischen Schmied ist nahezu überflüssig, denn man gewinnt die Kämpfe auch ohne seine Ausrüstung. Und der Survival-Aspekt auf der Reise ist nur eingeschränkt spürbar. Man kann auf der Weltkarte Orte anklicken und sieht, wie sich ein Icon bewegt, während sich in dessen Umfeld evtl. neue Orte wie Lager, Türme oder Städte auftun – manchmal gibt es auch Zufallsbegegnungen, manchmal geht es schnurstracks zum Ziel. Ja, die Leute müssen essen, werden müde und verletzen sich, so dass man campieren sollte. Und dann darf man im Lager sogar manuell für jeden Gefährten die Schlaf- und Wachzeiten sowie jene für die Reparatur, das Jagen, das Verarzten etc. angeben. Aber ich werde nicht unbedingt zu cleverem Mikro-Management angehalten, denn ich komme meist mit den wählbaren Automatismen zurecht – kein Vergleich zu der angenehmen Grübelei in The Banner Saga oder dem knallharten Ressourcenmanagement in The Battle Brothers.

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Von Dänemark aus geht es über die Nordsee nach Britannien. Wen nimmt man mit auf die Reise? © 4P/Screenshot
Und auch auf der Reise gibt es seltsame Widersprüche: Kann ich in Dänemerk noch komplett zu Fuß gehen, sind in England plötzlich Pferde zwingend erforderlich. Warum? Als ich ein Kloster plündere, sind die Vierbeiner sogar hinter der Kirche sichtbar, aber ich kann sie nicht stehlen – es gibt keinerlei Feedback bei den Klicks darauf; erst als ich so notgedrungen zuerst den Orkneys einen Besuch abstatte und dort alles an mich reiße, kann ich bei der nächsten Landung über Land auch in England reisen. Aber auch die Schifffahrt wird denkbar statisch inszeniert: Ein wichtiger Faktor der Langboote mit ihrem geringen Tiefgang war ja, dass ich überall anlanden und nahezu jeden Fluss bereisen konnte – hier darf ich nur vorgegebenen Orten einen Besuch abstatten und muss komplette Küstenstreifen ignorieren. So geht natürlich einiges Abenteuer- und vor allem Wikingerflair flöten. Man reist recht konservativ.

Karten abklappern und frei entscheiden

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Zwar kann man seine Heimat in Skjern architektonisch aufwerten, aber das wirkt sich kaum spürbar aus. © 4P/Screenshot
Also klappert man in erster Linie die Karten ab, um die Quests zu meistern, darunter einige solide mysteriöse und politisch brisante, aber auch viele wenig prickelnde Aufgaben wie Holzarten für das eigene Langschiff in einem Wald finden oder andere langweilige Hol-und-Bring-Dienste. Auf dem Weg zum Ziel darf man ab und zu auf Fässer, Säcke, Pflanzen etc. klicken, um etwas einzusammeln.

Aber auch hier gibt es Widersprüche: Angenehm ist, dass in Sichtweite von Leuten auch Diebstahl in mehreren Schwierigkeitsstufen angezeigt wird. Aber das Meiste kann man sich trotzdem auch in fremden Dörfern und Hallen einfach so unter den Nagel reißen. Und man wird als Fremder von niemandem daran gehindert, die Räume zu betreten. Das geht in der Königshalle von Northumbria so weit, dass man in einem (!) Raum die links liegenden Münzen alle einsacken darf, aber beim Schrank rechts daneben plötzlich die Diebesprobe machen soll, weil einen Leute sehen – arghs.

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Wenn man neue Gefährten erstellt, kann man auf neun Klassen zurückgreifen. © 4P/Screenshot
Zur langfristigen Motivation trägt immerhin bei, dass man immer frei entscheiden kann, ob man z.B. den kleinen Küstenort mit seinem Kloster brutal plündert oder eine Kooperation anbietet, so dass man für die Angelsachsen auf Banditenjagd geht. Je nachdem wie man handelt und in Gesprächen agiert, wirkt sich das auf die politischen Fraktionen aus, zu denen nicht nur einheimische wie der dänische König auf dem Kontinent, sondern z.B. auch der König von Northumbria oder die Pikten in Nordengland gehören. Auch die religiösen Aspekte der Zeit zwischen Heiden und Christen werden thematisiert.

Aber auch hier vermisst man mehr Konsequenzen: Obwohl ich das erste Dorf komplett geplündert und alle Einheimischen sowie Priester getötet habe, komme ich ohne Probleme zum König und seinem Bischof. Hier kann ich den Überfall leugnen, sogar gestehen oder über Diplomatie abmildern, aber bekomme am Ende immer dasselbe Ergebnis – mir passiert nichts, obwohl es bereits Vorfälle in der Vergangenheit gab, obwohl meine kleine Schar einer großen Übermacht gegenüber steht. Immerhin kann man die Halle als potenzieller Verbündeter oder Feind verlassen, dessen Ruf bei spöttischen Antworten zur Frage des Christentums nochmal sinkt. All das sind interessante Ansätze, aber dann reist man wieder über die Karte und hofft, dass man nicht wieder eine Zufallsbegegnung mit irgendeinem namenlosen Mob hat, den man bis zum letzten Mann töten muss, ohne dass man taktisch gefordert wird.