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Expeditions: Viking (Taktik & Strategie) – Stückwerk statt epische Saga

Vor vier Jahren machten Logic Artists mit Expeditions: Conquistador auf sich aufmerksam. Die Dänen inszenierten auf dem PC ein etwas sperriges, aber solides historisches Abenteuer mit rundentaktischen Kämpfen im Mexiko des 16. Jahrhunderts. Diesmal schlüpft man nicht in die Rolle von spanischen Konquistadoren, sondern kämpft mit Nordmännern des frühen Mittelalters im ausgehenden 8. Jahrhundert. Wie sich Expeditions: Viking schlägt, verrät der Test.

© Logic Artists / EuroVideo und IMGN.PRO

Rollenspiel light

Dabei fängt das Abenteuer vielversprechend an: Man darf wie in einem Rollenspiel einen männlichen oder weiblichen Charakter erstellen, das Äußere sowie die Werte von Stärke bis Wahrnehmung seinen Wünschen anpassen und einige Fertigkeiten hinsichtlich Kampf, Handwerk, Survival & Co festlegen. Auch hier trifft man auf eine lobenswerte Vielfalt, denn man kann neben Schwert, Axt, Schild, Schleuder, Bogen & Co auch rhetorische Fähigkeiten wie die Diplomatie oder Führungskraft, das Reparieren von Waffen oder das Jagen in der Wildnis stärken. Bei einem Aufstieg kann man die Werte jedes Gefährten manuell anpassen und viele optionale Quests bringen meist genug, vielleicht sogar zu viel Erfahrungspunkte neben den Hauptaufgaben. Denn auch hier gibt es ein Problem mit der Balance: Viel zu früh erreicht man in der Charakterentwicklung die Maximalwerte seiner Waffen – noch bevor ich in England landete, hatten viele Kämpfer schon das Beste aus Schwert, Axt oder Schild herausgeholt, so dass man sich danach entweder notgedrungen auch auf andere Waffen spezialisiert oder die möglichen „Reste“ aufwertet, die entweder weitere passive Werte stärken oder in ihrer Fülle nur für den Haupthelden interessant sind. Nichtsdestotrotz ist es lobenswert, dass mit Diplomatie & Co so etwas wie Rollenspiel light aufkommt.

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Oftmals hat man in den Gesprächen die Wahl, hinzu kommen rhetorische Attribute. © 4P/Screenshot
Das Spiel startet an der Westküste Dänemarks in Skjern. Und in den ersten Szenen fühlt man sich fast wie in einer Art Baldur’s Gate für Wikinger, wenn man nach dem Tod seines Vaters und Familienoberhauptes die eigene Stellung als Nachfolger sichern muss – es gibt sogar ein wenig Partyinteraktion mit in Ansätzen lustigen Kommentaren, wenn man später mit seinen Gefährten in Wäldern und Mooren unterwegs ist. Aber wohlgemerkt: in Ansätzen. Denn man kann weder gezielt über Dialoge in die Tiefe gehen noch entspinnen sich nennenswerte Beziehungen zwischen den Gefährten oder ergeben sich optionale Quests. Trotzdem überraschen sie mit eigenem Charakter und anderen Ansichten, was Rache, Taktik, Götter & Co betrifft.

Trauerfeier und Allianzen

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Wie reagiert man mit seinen Wikingern auf die einheimischen Angelsachsen? Man kann brutal, hinterlistig oder kooperativ vorgehen. © 4P/Screenshot
Schon der Einstieg macht neugierig: Man lernt direkt bei der Trauerfeier die politisch wichtigen Gäste wie die Vertreter des dänischen Königs, misstrauische Weggefährten des Vaters oder nahe Verwandte kennen, kann mit ihnen reden und hat in den Dialogen einige Freiheiten, kann sich freundlich oder schroff geben und über rhetorische Fähigkeiten auch zusätzliche Antworten geben. Schön ist auch, dass man oftmals die Wahl hat, ob man Gnade oder Härte, Heimtücke oder Ehrenhaftigkeit zeigen will – je nachdem steigt der eigene Ruf, ändert sich die Beziehung zu einer Fraktion sowie die Moral unter eigenen Gefährten, die von abtrünnig bis loyal reichen kann.

Man kann die Familie eines Verräters aufsuchen und den Hof heimtückisch niederbrennen, was einem bei den skupellosen Anhängern Boni, bei den anderen Abzüge bringt. Man kann Riesen oder Untote als reale Mächte anerkennen oder alte Gräber ausrauben, worauf abergläubische und skeptische Anhänger anders reagieren. All das verpufft allerdings irgendwann zu einer Nebensache, denn es gibt viel zu wenig spürbare Konsequenzen oder wirklich dramatische Situationen. Außerdem geht der strategische Aufbau der eigenen Basis in den ersten Stunden bis zum Übersetzen nach Britannien komplett unter – es ist wirkt fast egal, ob man sein Dorf befestigt, mit Bannern seinen Ruf steigert oder die Ernte an Holz & Co ankurbelt. Und das, obwohl man laut Story eigentlich bemüht sein müsste, die Verteidigung der Heimat zu stärken. Wenn man sie letztlich komplett ungeschützt gen England verlässt, scheint das auch egal. Kenner der TV-Serie Vikings werden übrigens spätestens einige Parallelen im Drehbuch erkennen, wenn man zum ersten Mal an der englischen Ostküste auf ein Dorf samt Kloster trifft. Nur hätten sich die Entwickler auch die Gefechte besser ansehen sollen, denn spätestens wenn es wieder wenig authentisch in den Kämpfen zur Sache geht, verfliegt das Serienflair.