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Tyranny (Rollenspiel) – Im Auftrag des Tyrannen

Shadowrun Dragonfall (2014), Wasteland 2 (2014), Divinity: Original Sin (2014), Pillars of Eternity (2015), The Age of Decadence (2015). Wer hätte gedacht, dass das isometrische Rollenspiel sechzehn Jahre (!) nach Baldur’s Gate 2 nochmal so eine Renaissance erlebt? Und das im Zeitalter von Großprojekten à la The Witcher 3 oder Fallout 4? Einen wertvollen Beitrag dazu hat Obsidian Entertainment geleistet, die gerade an Pillars of Eternity 2 arbeiten, aber unter der Flagge von Paradox schon ein weiteres Rollenspiel veröffentlicht haben. Ist Tyranny nur ein Lückenfüller oder steckt mehr dahinter?

© Obsidian Entertainment / Paradox Interactive

Bau dir einen Zauber

Findet man so genannte Sigils, darf man unabhängig von den freigeschalteten Talenten eigene Zauber aus drei Teilen bauen: Man wählt einen Kern wie z.B. Heilung, Blitz oder Frost, danach die Distanz von nah bis weit sowie die Intensität oder andere Verbindungen. Klingt interessant, macht zunächst auch Spaß, aber bietet mir auf lange Sicht zu wenig Möglichkeiten, was Konter oder Schutzmagie betrifft. Da war für einen arkanen Baukasten mehr drin!

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Die Gefährtenkombos befördern zwei Helden schonmal in die Luft… © 4P/Screenshot

Tyranny wirkt auch nicht klar genug in seinem Spieldesign, denn der ganze Unterbau an typischen Rollenspielelementen wie Inventar und Gegenstände, Kauf und Ausrüstung, Schleichen und Fallen, wirkt stellenweise überflüssig. Oder anders: Warum soll sich der Gesandte des Tyrannen mit diesem schnöden Kram der Sammelei oder Erkundung beschäftigen, den man von gemeinen Helden kennt, die erst langsam in der Hierarchrie sowie Macht aufsteigen und sich über ein Langschwert+1 oder Umsatz beim Händler freuen dürfen?

Einige kleine Aktionen im Gelände erinnern in der Abfrage von Fähigkeiten auch an Pillars of Eternity: Wer irgendwo hinauf zu einem Schatz klettern will, muss z.B. eine Athletik von 35 vorweisen. Obwohl das lobenswert ist, wirken

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Das Gelände kann man nur sehr selten taktisch nutzen; auch die Wegfindung zickt. © 4P/Screenshot

viele dieser Situationen eher wie Altlasten, denn dieses Spiel bietet deutlich weniger Erkundungsreize als das klassische Fantasy-Abenteuer, zumal nicht eine weitläufige Welt mit Dungeons und Orten, sondern die Politik sowie die Fraktionskonflikte im Vordergrund stehen. Vielleicht wäre Mut zur Lücke hier besser gewesen.

Fallen, Diebstahl & Co

Wenn man in den Schleichmodus wechselt, kann man zwar Fallen finden und entschärfen oder auch lila gefärbte Truhen bzw. Schätze entdecken. Aber das subtile Vorgehen wirkt alles andere als durchdacht und macht kaum Laune. Man kann auch ohne Tarnung in jedem Raum alles mitgehen lassen und selbst bei den mächtigen Archonten klaut man ohne Reaktion oder gar Konsequenzen. Was soll das? Außerdem vermisst man mehr interessante Geheimnisse wie verborgene Räume oder Wege – weder im Gelände noch in den Räumen gibt es viel zu entdecken. Wer

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Zwar gibt es Fallen und kleine Geheimnisse, aber echtes Dungeongefühl will in den kleinen Arealen nicht aufkommen. © 4P/Screenshot

klassisches Labyrinth-Gefühl mit spannenden Erkundundungsphasen sucht, wird in den kleinen Arealen nicht auf seine Kosten kommen.

Die vorbildliche Verzahnung von Text und Keywords hatte ich erwähnt. Ganz so lobenswert ist die etwas verschachtelte Benutzeroberfläche auf den ersten Blick nicht, zumal es kleine Hindernisse beim Waffenvergleich gibt: Anstatt automatisch sofort dieselbe Gattung auszuwählen, muss man manchmal manuell die Slots wechseln, wenn man nicht Schwert mit Stab vergleichen will. Man häuft zudem viel Überflüssiges an und muss etwas zu lange mit Schnellzugriff, Sonderzaubern & Co hantieren, bevor es im Kampf flutscht. Erst wenn man das System verinnerlicht hat, weiß man auch die vielen Sortier- und Belegungsfunktionen zu schätzen.