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Die vierte Dimension

Was würdet ihr tun, wenn ihr die Macht hättet, die Zeit für ein paar Sekunden zu verlangsamen, zu stoppen oder gar zurückzuspulen? Würdet ihr euch ein Cape schneidern, eine enge Unterhose anziehen und als »Captain Time« für das Gute kämpfen? Würdet ihr eine Bank nach der anderen überfallen, wohl wissend, 

Ihr könnt die Zeit nach Belieben verbiegen – verlangsamen, anhalten oder umkehren.
dass ihr keinesfalls erwischt werden könntet? Oder würdet ihr, nachdem ihr euch und den Anzug gerade noch so vor einer gigantischen Explosion gerettet habt, indem ihr den Fluxkompensator auf Zufallsfunktion eingestellt habt, in einer euch unbekannten Zeit und Welt zur Waffe greifen, um den euch unbekannten, aber nach Hilfe rufenden Widerstandskämpfern zur Seite zu stehen? Nun, wie auch immer, der namenlose Held von TimeShift, der in Sachen akademischer Grad, Umgang mit Explosivmaterial und Schweigsamkeit einem gewissen G. Freeman nicht unähnlich ist, hat sich gezwungenermaßen für die dritte Option entschieden: Kaum aus dem Raum-Zeit-Karussell gepurzelt, stellt er fest, dass er sich im Jahre 1939 befindet, allerdings in einem Paralleluniversum. Wie in der Van Damme-Klopperei »Timecop« hat ein Zeitreise-Kollege die Herrschaft übernommen, der ominöse Dr. Krone – den gilt es nun auszuschalten, die normalen Zeitverhältnisse wiederherzustellen und irgendwie wieder über die vierte Dimension nach Hause zu gelangen. Diese Story wird auf zwei Arten weitererzählt: Durch kurze, aber gute Render-Flashbacks und durch lange, aber meist uninteressante Echtzeit-Cutscenes.

Die Entwicklungsgeschichte von TimeShift ist eine voller Hürden, Design- und Publisheränderungen: Einst ein eher durchschnittlicher Shooter aus dem Hause Atari wurde das Grundkonzept unter neuer Vivendi-Flagge mehrmals radikal umgekrempelt – die an Stolperfallen reiche Entwicklungsgeschichte könnt ihr hier nachlesen. Sie spielt auch keine Rolle, denn das Endergebnis kann sich sehen lassen: Auf Knopfdruck könnt ihr für ein

Praktisch bei Munitionsmangel: Einfach dem festgefrorenen Gegner die Knarre klauen!
paar Sekunden mit der Zeit anstellen, was ihr wollt. Die einfachste Nutzung ist die Zeitlupe bei massivem Feindaufkommen; ihr bewegt euch weiterhin normal schnell, die Gegner nicht. Kreativer wird’s mit dem kompletten Stopp des Universums, in dem ihr z.B. einem Feind die Knarre klauen könnt – zurück in der Normalzeit ist sein ungläubiger Blick auf seine überraschend leeren Hände nicht nur Gold wert, sondern normalerweise auch das Letzte, was er zu sehen bekommt. Und wenn alle Stricke reißen (sprich: es gar nicht gut läuft) schmeißt man einfach den Rückwärtsgang ein: Granaten fliegen zum Gegner zurück, demolierte Häuser bauen sich dramatisch und hirnverknotend wieder zusammen. Schweinecool! Aber natürlich doch irgendwie trivial, weswegen der wahre Nutzen der Zeitverwurstelung in den Puzzles liegt: Eine wackelige Wippe wird per Pause-Taste stabilisiert, ein elektrisch bratzender See wird problemlos begehbar, ein zufallendes Tor wird wie von Zauberhand in der Luft gehalten, ein gerade auf dem Boden angekommener Fahrstuhl fährt entgegen seiner ursprünglichen Absicht wieder hoch – dieses Mal jedoch mit dem Spieler drin! Für viele Probleme gibt es mehr als eine Lösung, weswegen der Leitspruch der Designer, den sie dem Spieler auch oft genug während der Ladepausen entgegen werfen, auch lautet: »Nutzen Sie Ihre Zeitkräfte kreativ. Denken Sie vierdimensional!« – und wer nicht kreativ sein will, drückt einfach blind auf die Auslöser-Taste, woraufhin das Programm die für die gegenwärtige Situation sinnvollste Aktion automatisch wählt.

Selektive Wahrnehmung ahoi!

Die abwechslungsarmen Feinde sind einzeln keine besonders Herausforderung – aber meist in der durchschlagskräftigen Gruppe unterwegs!
Das Problem mit der Zeitmanipulation ist allerdings ein zweigeteiltes: Zum einen sind die Entwickler nicht völlig konsequent in ihrer Nutzung – elektrisch leitendes Wasser und fiese Flammen sind per Zeitstopp handzahm, eine Laserfalle bleibt aber tödlich. Zum anderen ist das Zeit-Kontingent erheblich eingeschränkt: Jede Manipulation benötigt unterschiedlich viel Energie, allen ist gemein, dass sie nur ein paar Sekunden andauern. Ist der Vorrat aufgebraucht, muss man sich mit der Normalzeit zufrieden geben, jedenfalls so lange, bis sich das Kontingent wieder regeneriert hat. Und in dieser entfaltet das Spiel einen bemerkenswerten Schwierigkeitsgrad: Die Gegner sind zwar nicht gerade die hellsten (und auch nicht die abwechslungsreichsten), aber die sind nur selten allein und schießen verdammt scharf – die Quickload-Funktion wird über kurz oder lang zu eurem besten Freund, denn nicht nur die Zeitspielchen, sondern auch die Feindeshorden erfordern viel Trial& Error, selbst auf dem niedrigsten der drei Schwierigkeitsgrade.