Die beiden Helden streifen durch den idyllischen Herbstwald und Tempelruinen, erforschen eine mystische Insel voller leuchtender Kerzen und treffen in unterirdischen Gemäuern der bösen Asgil auf allerlei seltsame Apparaturen, während draußen langsam die steinige Welt auseinanderbröckelt.
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Besser als jede Sitcom: Die Wortgefechte und Running Gags in der sich innig liebenden Wanderzirkus-Familie. |
Nicht nur die Story und die düstere Kulisse erinnern an die unendliche Geschichte; auch die ersten Bilder zu Marco Hüllens Spiel tauchten schon vor ein paar Jahren auf. Nach einem Entwicklerwechsel und ein paar Verschiebungen hat er sein Baby nun bei der Hamburger Adventure-Schmiede Daedalic fertig gestellt. Wie im durchgeknallten »Edna bricht aus« aus gleichem Hause bekommt der Spieler auch hier ausschließlich handgezeichnete Figuren, Objekte und Hintergründe zu Gesicht. Anders als beim Ausbruch aus der trashig designten Irrenanstalt protzen die verschnörkelten Wolken, knorrigen Äste und urigen Holzhütten aber mit Unmengen von Details: Auf jedem der in mehreren Ebenen scrollenden Bilder kann man den Blick minutenlang schweifen lassen und entdeckt immer noch Feinheiten. Schade, dass die Auflösung auf das feste Format 1024×768 beschränkt ist. Besitzer von Breitbild-Monitoren sehen Sadwick entweder gequetscht (was bei gezeichneter Grafik aber erstaunlich wenig auffällt) oder im 4:3-Fenster auf dem Windows-Desktop.
Die Geschichte schlägt in die selbe Kerbe wie „The Book of Unwritten Tales“: Wie in King Art Games Konkurrenztitel versucht man auch hier als ein kleiner, nicht sonderlich wehrhafter Protagonist eine Bedrohung durch fiese Finsterlinge von einer Fantasywelt abzuwenden. Es gibt noch weitere Parallelen, die ich euch aufgrund von Spoiler-Gefahr aber lieber nicht verrate. Sadwicks Charakter ist allerdings das krasse Gegenteil des naiven Gnoms Wilbur: Der chronisch depressive Clown lässt keine Gelegenheit aus, seiner Umwelt mitzuteilen, wie sehr ihn das Dasein als Lachnummer im Wanderzirkus anödet. Er hasst sein albernes Kostüm, den täglichen Arbeitstrott als lebende Kanonenkugel, das senile Gefasel seines Opas und die altklugen Sprüche seines besserwisserischen Bruders Ben.
Sadwick bricht aus
Trotz seiner Resignation schwingt eine eine gehörige Portion Schlagfertigkeit und Galgenhumor mit, wenn Sadwick sich minutenlange Wortgefechte mit seiner ungeliebten Familie liefert. Sein Sarkasmus verbietet ihm natürlich jederlei Form von Gefühlsduselei. Sollte ihm doch einmal ein einfühlsamer oder gar positiver Satz über die Lippen rutschen,
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Immer gut gelaunt: Sadwicks treue und wandlungsfähige Hausraupe Spot ist nützlicher als jedes Schweizer Taschenmesser… |
muss er das natürlich prompt durch einen weiteren Kommentar relativieren: „Spot und mich verbindet ein unsichtbares Band…….aus Kitsch!“ Die urkomischen Dialoge stammen aus der Feder von Jan Müller-Michaelis und Sebastian Schmidt. Ersterer hat den Großteil beigesteuert und sorgte bereits in Edna bricht aus für jede Menge geniale bis geisteskranke Gespräche.
Auf seiner Reise zum königlichen Palast in Corona hat Sadwick viel Zeit, sich mit allerlei verschrobenen Charakteren zu unterhalten. Dazu gehören sprechende Steine, magische Wesen, die aussehen wie eine Mischung aus Mensch und Tier sowie andere sonderbare Kreaturen. Doch obwohl die meisten Figuren ihm die Geschichte mit der Prophezeiung vom Weltuntergang abnehmen, will ihm kaum jemand auf Anhieb helfen. Der äußerst nervöse Chaski-Krieger „Bobby“ hält ihn z.B. nicht für den richtigen Mann im Kampf gegen die finsteren Asgil. Ein Mönch wiederum schwadroniert selbst dann noch in Rätseln, nachdem Sadwick ihn mehrmals gebeten hat, nicht in solch einer „metaphorischen Wischiwaschi-Art-und-Weise“ mit ihm zu sprechen. Der spirituelle Kapuzenträger lebt auf einer rätselhaften Insel. Auf der Spitze des steinigen Berges steht eine stillgelegte Perlenpressfabrik – inklusive missmutigem Chef und Wach-Krokodilshund. Natürlich muss Sadwick einen Weg finden, die beiden auszutricksen. Das Szenario erinnert nicht von ungefähr an das Waschhaus im bildgewaltigen Anime-Klassiker „Chihiros Reise ins Zauberland“. Der Film war eines der Vorbilder für das Adventure.
Multifunktionsraupe
Es gibt eine Person, welche Sadwick ohne Wenn und Aber zur Seite steht: Seine treudoof grinsende Hausraupe Spot. Das stets gut gelaunte Tier dient nicht nur als knuddeliges Maskottchen und Ziel Sadwicks spöttischer Attacken, sondern auch als erstaunlich vielseitiges Multifunktions-Tool. In seiner Normalform lässt sich das kompakte Vieh z.B. in ein Ofenloch stopfen, um die klemmende Tür von innen aufzustoßen.
Hat er sich mit Wasser vollgesogen, mutiert er zur rollenden Kugel. Der grüne Ball lässt sich z.B. benutzen, um Dinge zu beschweren oder um brüchige Objekte mit seinem Gewicht von der Wand abzubrechen. Im Laufe des Spiels lernt der Sidekick noch einige weitere Funktionen: Als lodernder Feuerspot kann er z.B. mit seinem Feueratem leicht entzündliche Hindernisse aus dem Weg brutzeln. Die nützliche Raupe lässt sich wie ein Inventar-Gegenstand aufnehmen und am gewünschten Ort platzieren.
Die Steuerung geht insgesamt leider einen Deut weniger flüssig von der Hand als bei der Konkurrenz. Ab und zu reagieren der Held oder ein Objekt erst auf den zweiten Klick und in seltenen Fällen scrollt auch die Kamera nicht mit, wodurch Sadwick und Spot aus dem Bild laufen. Auch das Aufrufen der Menüs erfordert eine kurze Eingewöhnung: Zielt man auf ein interessantes Objekt und hält man die linke Taste gedrückt, erscheint nach kurzer Zeit ein kleines Menü. Wählt man das Auge aus, nimmt Sadwick etwas unter die Lupe, mit der Hand können Gegenstände genommen werden, um sie z.B. mit anderen zu kombinieren. Das Lippen-Symbol dient dazu, mit Menschen zu sprechen, etwas zu essen oder andere Dinge wie pusten mit dem Mund zu erledigen. Ab und an muss auch ein Minispiel wie ein Brettspiel oder ein Zahnradrätsel gemeistert werden.