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The Walking Dead: Neuland (Adventure) – Eine große Geschichte…

Die schlurfenden Toten werden jetzt Muertos genannt, manchmal jedenfalls, ansonsten hat sich in The Walking Dead nicht viel verändert: Noch immer kämpfen Menschen gegen Wanderleichen, vor allem aber mit ihren eigenen Dämonen. Und trotzdem ist die dritte Staffel mit dem Untertitel Neuland (Englisch: A New Frontier) nicht ganz so wie die vorherigen Geschichten. Wie Telltale das schafft? Im Test nehmen wir Javier und seine zerbrechliche Familie unter die Lupe.

© Telltale Games / Telltale Games

Und plötzlich Ende

Umso ärgerlicher finde ich deshalb aber, dass Davids Geschichte viel zu abrupt vorüber ist, jedenfalls in dem von mir und den meisten Spielern gewählten Ende. Denn nach all den Querelen sowie der finalen Entscheidung, ob man David folgt oder wie ich mit Kate zusammen gegen die in Richmond eingefallene Herde kämpft, findet Javier seinen Bruder tot in einem Auto, das war‘s. Auch seine Bestürzung darüber empfand ich als knapp und oberflächlich abgehandelt. Natürlich muss er nur wenige Sekunden später seinen von einem Untoten gebissenen Neffen erschießen, dem Jungen die Waffe in die Hand drücken oder Clementine die grausame Arbeit überlassen – dass er nach dem Ende der Szene gemeinsam mit Kate nur drei Tage später aber lediglich Fotos an eine Gedenkwand heftet,
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Hält man zu dem impulisven Bruder oder ist David eine Gefahr für seine Familie? © 4P/Screenshot
um noch am selben Ort relativ unbeschwert über eine gemeinsame Familie mit ihr zu sprechen, wird der Dramatik der vorherigen acht Stunden nicht ganz gerecht. Ich habe es als seltsamen Bruch empfunden, dass die Entwickler mein emotionales Teilhaben an einer der wichtigsten Beziehungen so plötzlich haben fallen lassen.

Dieselbe Leier

Der knappe Abschluss und eine gewisse dramaturgische Starre haben meine Begeisterung im Verlauf der dritten Staffel leider gedämpft; eine Starre, die zum einen von den erwähnten technischen Beschränkungen und zum anderen aus relativ festen Erzählstrukturen herrührt. Jede Episode beginnt etwa mit einer Rückblende, anstatt wenigstens einmal direkt an die dramatischen Ereignisse der letzten Folge anzuschließen.

Überhaupt die Tatsache, dass Telltale nicht den Mut hat z.B. die vierte Folge mit der leisen Entschlossenheit enden zu lassen, mit der Javier und seine Begleiter nach Richmond zurückzukehren, um David aus Joans Händen zu befreien – stattdessen muss es wie in den Folgen davor ein dramatischer Dialog-Entscheidungs-Showdown samt Übergang in eine Schießerei sein. Auf Dauer wirkt dieses gleichförmige Auf und Ab der Dramaturgie doch ermüdend; es verhindert emotionale Überraschungen, die etwa der erste Kuss zwischen Javier und Kate als abschließendes Bild hätte haben können.
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„High-five!“ © 4P/Screenshot


„High-five, Clem!“

Im Gegenzug gefällt mir der langsame Aufbau dieser Beziehung aber richtig gut! Von behutsamen Andeutungen in Rückblenden über ein vorsichtiges Annähern bis hin zum ersten Kuss gibt Telltale seinen Figuren und Spielern die nötige Zeit, um in die Beziehung hineinzuwachsen. Das ist gerade im Bereich der Videospiele eine Seltenheit und schon deshalb wohltuend.

Über Rückblenden erzählen die Spielemacher außerdem einen großen Teil der Geschichte Clementines, also der einzigen Konstanten des interaktiven The Walking Dead. Genauer gesagt beschreiben sie so, was dem Mädchen zwischen der zweiten und dritten Staffel wiederfahren ist. Klasse, wie sie dabei nicht nur schlicht weitererzählen, sondern auch deutlich herausstellen, wie sehr die ohnehin taffe Überlebenskünstlerin inzwischen von den Ereignissen der letzten Jahre gezeichnet ist – auch weil sie einst Mitglied der rauen New Frontier war. Dass sie in der Gegenwart der dritten Staffel gleichzeitig Charme und Coolness gewinnt, ist umso bemerkenswerter. Könnte man ihr ein High-Five zu klatschen, hätte ich das gleich mehrmals gerne getan. Auch wenn in Staffel drei vieles ohne sie geschieht: Clem ist völlig zurecht der Anker dieser nach wie vor starken Charakterserie!