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The Invincible (Action-Adventure) – Firewatch im Weltraum

Wenn es um Science-Fiction geht, dann kommt man um den Namen Stanislaw Lem kaum herum: Der polnische Autor ist ein Meister seins Fachs gewesen, kombinierte in seinen Romanen oftmals philosophische wie ethische Themenkomplexe und schrieb über Entwicklungen noch viele Jahre, bevor diese zur Realität geworden sind. Dazu zählt auch Der Unbesiegbare von 1964, den sich das ebenfalls aus Polen stammende und aus einigen ehemaligen Witcher-Entwicklern bestehende Studio Starward Industries schnappte, um es in Videospielform zu gießen. Im spielerischen Stile von Firewatch erkundet man einen wildfremden Planeten und erlebt eine Liebeserklärung ans Genre und an Lem.

© Starward Industries / Starward Industries

Dialoge à la Firewatch

Spielerische Tiefe in Form von Gameplay-Elementen bietet The Invincible derweil nicht. Mit WASD bewegt man sich fort, mit Linksklick werden die meisten Aktionen ausgeführt. Die wenigen Gadgets haben jeweils eine eigene Taste, werden aber nur verhältnismäßig selten benötigt. Die Leertaste kommt derweil deutlich häufiger zum Einsatz, ist sie doch der Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation. Über ein Funkgerät stehe ich in regelmäßigen Kontakt mit Astrogator Novik, der aufgrund einer Verletzung selbst nicht an der Landung teilnehmen konnte. Vom Orbit aus leistet er mir Hilfe und seelische, wie wissenschaftliche Unterstützung, während ich überwiegend alleine und in Isolation das Mysterium von Regis III. erkunde.

Dieses System erinnert nicht zufällig an Firewatch: Das 2016 von Campo Santo veröffentlichte Adventure ist für

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Retro und trotzdem Zukunft: Der Tracker in The Invincible sieht fantastisch aus. © 4P/Screenshot

Starward Industries eine große Inspiration gewesen. Dementsprechend legt man auch für The Invincible großen Wert auf die Dialoge, die überwiegend sehr natürlich und lebensecht wirken. Das Zusammenspiel zwischen Yosna und Novik ist hervorragend, auch wenn es zu Beginn etwas trockener wirkt als die ersten Wortfetzen, die Henry und Delilah einst austauschten. Als Astrobiologin ist man in der Hierarchie dem Astrogator klar untergeordnet, dennoch gewinnt Yasna im Laufe der Handlung zunehmend Mut. In den Multiple-Choice-Dialogen kann ich dann auch widersprechen, andere Einschätzungen zur Lage abgeben, ironisch meinen Senf beitragen, meine berufsbedingte Neugier zur Schau stellen oder auch konsequent bestimmte Befehle ignorieren – die Konsequenzen, die mitunter zu verschiedenen Enden führen, muss ich dann aber selbst tragen. Auch Noviks zu Beginn sehr den Regeln befolgende Art lockert sich Stück für Stück auf, er wird sogar emotional und weiß mitunter selbst nicht einmal mehr, was er noch glauben soll. Wenn ich ihm einmal nicht antworte, denn auch das ist eine Möglichkeit, wird er, je nach Situation, nervöser und fragt intensiver nach. Könnte ja sein, dass ich gerade in Gefahr schwebe oder etwas mache, was überhaupt nicht dem Plan entspricht. 

Hin und wieder merkt man Novik auch an, dass er die aktuelle Situation ganz und gar beschissen findet: Aufgrund eines Unfalls ist er zur Zeit der Handlung ans Raumschiff gefesselt und kann nicht, wie es ein

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Das Gleiche gilt für den Scanner – der Stil ist den Entwicklern schlichtweg gelungen. © 4P/Screenshot

erfahrener Anführer tun würde, vorangehen. Das nagt sehr am Stolz des Astrogators, dem es wahnsinnig leid tut, wie es überhaupt zu der Situation auf Regis III kommen konnte. An die emotionale Tiefe, die Henry und Delilahs Unterhaltungen in Firewatch erzeugten, kommt The Invincible zwar nicht ganz heran. Dennoch erzeugen die ehemaligen Witcher-Entwickler einen durchweg spannenden, dynamischen sowie natürlichen Erzählfluss, der ebenso von der tollen englischen Synchronisation profitiert. Deutsche Sprecher gibt es nicht, dafür sind aber immerhin sämtliche Untertitel und Texte übersetzt.

Viel lineare Freiheit

Zwischen den zahlreichen Dialogen ist man viel zu Fuß unterwegs: The Invincible ist allerdings kein Open World-Spiel. Stattdessen erwarten euch, erneut je nach Situation, verschieden große Gebiete, in denen man sich angenehm frei bewegen darf. Hier und dort gibt es etwas zu Erkunden oder man kann die trotz ihrer Kargheit sehr schöne Gestaltung des Planeten aufsaugen, aber in der Regel ist der Weg vorgegeben. Lediglich gegen Ende der etwa sieben bis zehnstündigen Geschichte gibt es ein paar Bereiche, die man freiwillig näher untersuchen kann, um gegebenfalls noch den einen oder anderen Hinweis oder Bericht aufzuschnappen, der einem das Schicksal mancher Crew-Mitglieder näher bringt. Zwingend notwendig, um die Narrative zu verstehen, ist das allerdings nicht. Frei springen oder klettern kann man nicht, ebenso wenig fällt Yasna unvorhergesehen bestimmte Abhänge herunter.

Trotz des linearen Weges heißt das übrigens nicht, dass die Erzählung genauso geradlinig ausfällt. Immer wieder darf ich im Lauf des Spiels Entscheidungen treffen, die sich unmittelbar oder erst einige Zeit später bemerkbar machen. Opfere ich beispielsweise meinen eigenen Sauerstoff, um ein Crewmitglied wirklich retten zu können,

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Auch Roboter sind Teil von The Invincible, aber nicht unbedingt so, wie wir sie uns heute vorstellen. © 4P/Screenshot

oder verzichte ich darauf, weil es möglicherweise mein eigenes Ende bedeuten dürfte? Sage ich die Wahrheit, oder nehme ich das Geheimnis mit ins Grab? Zwischendrin gibt es sogar die Möglichkeit, die Planetentour gänzlich abzubrechen und zum Raumschiff zurückzukehren – sofern man denn möchte.

Schön, dass die Entwickler meistens keine Hinweise einstreuen, welche Entscheidung denn die Richtige wäre. Es liegt ganz an euch und eurer Moralvorstellung, welche Wahl ihr trefft. Im Hinterkopf solltet ihr nur immer haben, dass ihr gerade einen völlig fremden Planeten erkundet, dessen ungewöhnliches Verhalten eine Entdeckung Wert sein könnte – aber zu welchem Preis?