Und vor dem Balkon der Penthouse-Suite wütet die Rebellion. Denn Diktator Miraflores wehrt sich gegen Aufständische, die sein Regime entmachten wollen. Zwitschern im Mai ’72 noch Vögel auf der Terrasse, donnern bald schon die Jets einer Militärparade übers Dach. Rauchfahnen steigen aus gegenüberliegenden Häusern, die Explosion einer Bombe lässt eine Scheibe des Appartements splittern. Eine große Laufschrift verkündet die Schlagzeilen der regimetreuen Propaganda. Zu Beginn des Jahres 1973 reichen die Spuren des von Gewalt zerrütteten Anchuria schließlich bis in Ortegas Wohnung.
Als gebildete Frau, die die Rassenunruhen in Nordamerika miterlebt hat, widerstrebt Angela die Herrschaft Miraflores‘. Mit ihrem Arbeitgeber liegt sie deshalb auf einer Welle; sie findet wichtige Dokumente in seinen Unterlagen, die ihn mit den Rebellen in Verbindung bringen. Soll sie die Hinweise aus Angst verstecken oder ihm zu verstehen geben, dass sie auf seiner Seite ist? Der Kunstliebhaber ist kein Politiker, aber ein einflussreicher
Mann. Könnte er die Freilassung gefangener Rebellen veranlassen? Doch Ortega hadert, sucht nach Hilfe bei der
Entscheidung über seine Rolle in dem Konflikt. Könnte Angela ihn bestärken, ihn vielleicht mit romantischen Avancen locken? Wie weit würde dieser Mann für sie gehen?
Was ist Anchuria?
Peru könnte Tale of Tales als Inspiration für das fiktive südamerikanische Land gedient haben. In „Kohlköpfe und Könige“ prägte William Sydney Porter zwar den den Begriff „Bananenrepublik“ und bezog ihn auf das von ihm erfundene Anchuria – der Name des Diktators in Sunset, Miraflores, deckt sich aber mit einem gleichnamigen Gebiet in Peru.
Auch in Peru regierte ein Diktator: Juan Velasco Alvarado kam 1968 durch einen Putsch an die Macht, die er 1975 wieder verlor. © 4P/Screenshot
Die Faulen und das Lob
Der Wohlhabende und seine Hausdame werden sich wohl nie begegnen. Sie kommunizieren über Notizzettel, die Ortega hinterlässt und auf die man entweder warmherzig oder pragmatisch antworten kann, aber nie muss. Auch Arbeiten im Haushalt erledigt Angela besonders aufmerksam, mit wenig Aufwand oder gar nicht.
Beeinflussen diese vielen kleinen Entscheidungen die Handlung? Kaum. Tatsächlich muss man nicht einmal die notwendigsten Dinge verrichten, um trotzdem Lob für gute Arbeit zu erhalten. In diesen Details wirkt Sunset unangenehm starr. Notizen in Form kleiner Rüffel hätten genügt, um das Wirken Angelas, oder vielmehr: ihr Nichtwirken, ausreichend zu kommentieren. Harvey und Samyn unterstellen ihren Spielern ähnlich wie den Helden eines Shooters zwar zurecht ein Grundbedürfnis, das Spiel überhaupt zu spielen. Trotzdem ist das Fehlen solcher Kleinigkeiten schade.
Wie stark ist ein Streichholz?
Im Kleinen ist die fehlende Konsequenz ärgerlich – im Großen ist allerdings wichtig, dass Angela ihr Umfeld zwar beeinflussen kann, auf das Schicksal Anchurias aber keinen direkten Einfluss hat. Ein tragischer Moment unterstreicht eindrucksvoll ihre Machtlosigkeit. Sie wird den Aufstand nicht gewinnen; allein der Gedanke ist im Gegensatz zum Gros der Videospiele absurd.