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Shadow of the Colossus (Action-Adventure) – Zeitloses Meisterwerk?

Shadow of the Colossus hat vor zwölf Jahren beeindruckt. Fumito Ueda und Team ICO inszenierten auf der PlayStation 2 ein ästhetisch und spielerisch einzigartiges Abenteuer. Die begehbaren Kolosse verblüfften mit ihrer Level-im-Level-Technik ebenso wie die auf das Wesentliche reduzierte Regie, die viele spätere Entwicklungen beeinflusste. Bluepoint Games und Sony Japan Studio versprachen ein modernisiertes Remake für PlayStation 4, das dem Spielgefühl des Originals treu bleiben sollte. Wie schlägt sich dieser Meilenstein der Videospielgeschichte nach zwei Konsolengenerationen?

© Team Ico / Bluepoint Games / Sony

Der Zahn der Zeit

Ich bespreche seit achtzehn Jahren Spiele. Immer wieder begegnen mir Titel vergangener Zeiten als Remakes oder ich lege nochmal das Original ein, weil ich es mit einem Nachfolger vergleichen will. Die meisten meiner Wertungen empfinde ich dann rückblickend als zu hoch. Selbst von mir gefeierte Abenteuer verlieren spätestens nach fünf, sechs Jahren an Faszination. Nicht etwa weil die Technik die üblichen Fortschritte macht und alles hübscher aussieht. Sondern vielmehr, weil sich innerhalb einer Reihe oder eines Genres auch das Spieldesign und damit meine Ansprüche entwickelt haben. Ein Spiel ist auch immer ein Kind seiner Zeit, ich werte also in einem speziellen Kontext von qualitativen Standards und Erwartungen. Dear Esther war mir damals Platin wert, weil es als Novelle in Egosicht ein Pionier des digitalen Storytellings war. Damit hat es einen Weg geebnet.

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Zwei Darstellungen sind möglich: Man kann im  „Kinomodus“ starten, um die größte grafische Qualität in 1080p oder 4K zu erleben. Für Erstere wird das Bild zunächst in 1440p berechnet und dann runterskaliert; für Letztere wird auch die HDR-Beleuchtung unterstützt. Während in diesem Modus maximal 30 fps erreicht werden, geht es in der zweiten Variante „Performance“ mit bis zu 60 fps zur Sache. © 4P/Screenshot

In der Folgezeit gab es viele weitere frische Impulse innerhalb der Erzählabenteuer, die sowohl die Statik aufgebrochen als auch die Kommunikation bereichert haben, so dass ich heute nicht mehr so hoch werten würde. Genauso geht es auch dem ersten Uncharted oder Baldur’s Gate, die im wahrsten Sinne des Wortes von ihrem eigenen Erfolg überholt worden sind. Und genau das wird die große Hürde für Shenmue 3, dem ich als Backer zwar das Beste wünsche, aber das von offenen Welten, simuliertem Alltag, Kampfsystemen und psychologischen Dramen umzingelt ist. Damals, als ich mich meine bis dato höchste Wertung von 95% für diese „Lebenssimulation“ vergab, gab es diese Konkurrenz nicht.

Ähnlich wie sich der Archäologe mit Fundstücken aus unterschiedlichen Erdschichten beschäftigt, die ganz gleichzeitig niedergelegt einer speziellen Kultur zugeordnet werden, hat es der Spielekritiker mit Schichten aus Spieldesign zu tun. Das sind spezielle Zeiträume, in denen sich Entwicklungen so stark beeinflussen, dass man viele ähnliche Merkmale bei unterschiedlichen Titeln findet – manchmal parallel, manchmal überlappend. In der Call-of-Duty-Schicht mit ihrem Fokus auf explosiver Military-Action liegen z.B. die Überreste von Resident Evil 6. Wir werden in einem kommenden Special mal versuchen, die wesentlichen Schichten der Videospielgeschichte auszubuddeln und die prägenden Spielkulturen zu definieren.

Die Grenzen der Nostalgie

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Auf der Suche nach dem nächsten Feind richtet sich der Held nach dem Strahl des Lichts. Er ist  jung, grazil und nahezu spärlich gerüstet: Lediglich in eine Tunika gekleidet  und mit leicht androgynen Zügen, wirkt er fast verletzlich. Doch zusammen mit seinem Pferd bildet er eine Einheit der Entschlossenheit. Spätestens, wenn er sein Schwert zückt, um sich durch die Reflexion des Sonnenlichts das Versteck des nächsten Kolosses anzuzeigen, ist er nur noch eines: ein Krieger. © 4P/Screenshot

Fest steht: Dass das Jüngere auch das Bessere ist, ist natürlich keine Gesetzmäßigkeit. Die umsatzgetriebenen Zielsetzungen einiger großer Publisher haben zu fatalen qualitativen Rückschritten und fragwürdigen Standards im Spieldesign geführt. Und nicht wenige „moderne“ Abenteuer sind den „alten“ Pionieren immer noch unterlegen. Eternal Darkness auf dem GameCube würde in einigen Bereichen auch aktuellen Vertretern des Survival-Horrors Paroli bieten. Und noch heute habe ich viel Spaß im Multiplayer mit Age of Empires: The Age of Kings, das immerhin neunzehn Jahre auf dem Buckel hat. Aber zwischendurch von Klassikern gut unterhalten zu werden oder diese im Kontext aktueller Spiele nochmal ernsthaft einzuschätzen, sind zwei Paar Schuhe; mal sehen, wie sich die Age of Empires Definitive Edition schlägt. Das Alte kann nicht in der Regel, sondern nur in der Ausnahme seine Faszination konservieren. Je weiter ich in die Vergangenheit zurück schreite, desto klarer zeigen sich meist die Defizite – selbst Nostalgie hilft da nicht mehr.

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Die freischaltbaren Vergleichsbilder verdeutlichen die enormen grafischen Unterschiede zum Original aus dem Jahr 2005 (Japan/USA) bzw. 2006 (Europa). © 4P/Screenshot

Mein anno 1999 noch hoch  verehrtes Outcast hat mich in der Neuauflage z.B. komplett ernüchtert. Und als ich kürzlich das von mir als Zwölfjährigem bis tief in die Nacht verschlungene The Bard’s Tale von 1985 spielte, musste ich nach fünfzehn Minuten aufhören – so öde war das. Auch, weil aktuelle Interpretationen wie Legend of Grimrock genau dieses Spielgefühl viel besser inszenieren. Meine Ansprüche an Komfort, Konzept und Unterhaltung sind heute ganz andere, weil es ganz andere Vergleiche gibt. Es gibt nur sehr wenige Abenteuer, die dem größten aller Kritiker, nämlich der Zeit, wirklich standhalten. Und unter diesen gibt es nur eines (!), das ich aus heutiger Sicht sogar höher bewerten würde. Dazu müsste seine Ästhetik zeitlos, sein Spieldesign unerreicht und sein Konzept immer noch so einzigartig sein, dass ich nicht mal eben zwei, drei bessere Nachfolger oder Epigonen aufzählen könnte. Es müsste beim erneuten Spielen nicht nur für ein nostalgisches Déjà-vu, sondern für eine verdammte Gänsehaut und ein kräftiges „Wow!“ sorgen. Und damit komme ich zu Shadow of the Colossus.