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Pentiment im Test: Aus Liebe zu(r) Geschichte(n)

Pentiment ist ein über die Maßen erstaunliches Videospiel: Es stellt eine große, menschliche Erzählung in den Mittelpunkt und verwebt religiöse Fragen, familiäre Dramen sowie die Entscheidung über Krieg und Frieden zu einem einzigartigen Kriminal-Adventure. Gleichzeitig jubelt es dem Spieler viel Geschichtswissen über eine kaum behandelte, spannende Zeit unter – das ausgehende Spätmittelalter mit der Reformation und dem Deutschen Bauernkrieg. Schließlich sind auch Grafik und Präsentation so einzigartig wie hochwertig – all das macht Pentiment zu einem der besten Spiele des Jahres!

© Obsidian Entertainment / Microsoft

Zwei lange Kriminalfälle sowie ein weiteres Kapitel (zu dem wir euch rein gar nichts verraten!) sind die großen Ankerpunkte im Spiel: Weil unser Charakter damit beauftragt wird, die Schuldigen der Morde zu finden, wird er zum Mittelalter-Sherlock, der die Bäuerinnen und Handwerker, die Mönche und Nonnen, die Adligen und Landsknechte mit Fragen löchert. Wer war wann wo? Wer hat Gespräche belauscht oder trägt Feindseligkeiten gegen andere im Herzen? Andreas Maler hat vor seiner Künstlerlaufbahn im Ausland studiert – wo und in welcher Fachrichtung, das gibt man selbst per Auswahl früh im Spiel vor. Diese Entscheidung will wohl überlegt sein, hat sie doch Einfluss darauf, ob Andreas z. B. in Gesprächen von medizinischem Fachwissen oder rhetorischen Kniffen profitieren kann, ob er lateinische Texte übersetzen oder Kräuter-Knowhow einsetzen kann, ob er Anknüpfungspunkte zu anderen Figuren hat, die auch schon in Basel oder London weilten. Das eröffnet euch in den Gesprächen zum Teil andere Dialogoptionen oder ermöglicht das Finden zusätzlicher Beweise.

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Je nach Andreas‘ Vorbildung und Forschungsreisen erhält man in den Dialogen andere Optionen. © 4P/Screenshot

Um zu verstehen, warum z. B. ein hartnäckiger Gesprächspartner nun gerade doch nicht überzeugt werden konnte, hilft eine kleine Plus-Minus-Rechnung, bevor im Gespräch eine Entscheidung fällt: Diese zeigt euch übersichtlich an, welche eurer vorherigen Sätze und Handlungen für Zustimmung sorgten oder Misstrauen beim Gegenüber hervorriefen. Das sorgt für eine gewisse Transparenz und einen Lerneffekt, hilft einem aber nicht, falls man mit den Konsequenzen unzufrieden ist. Denn: Es gibt in Pentiment zwar drei Spielstände, jedoch keine Möglichkeit des freien Speicherns und Hereinladens – in diesem Titel müsst ihr mit euren Entscheidungen und den Konsequenzen daraus leben.

Deal with it!

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In manchen turbulenten Szenen quatschen oder brüllen die Dorfbewohner wild durcheinander – es ist also gewollt, dass man dann nicht jedes Wort mitlesen kann. © 4P/Screenshot

Generell ist das Spiel eines voller Kompromisse: Ihr werdet nie alle Mitmenschen glücklich machen und herausfinden, ob eure Schlussfolgerungen die ultimativ richtigen waren. Stattdessen gebt ihr euer Bestes, fällt schwierige Entscheidungen in allen Graubereichen menschlicher Moral und ringt mit der stetig voranschreitenden Zeit. Das reine Umherlaufen, Plaudern oder Suchen kostet keine Stunden auf der hübsch altmodisch dargestellten Tageszeitleiste, doch ausgiebige Gespräche beim Mittag- oder Abendessen, das Zuschauen bei einer Obduktion oder ein Jagdausflug treiben den Stundenanzeiger gnadenlos voran. Alles ausprobieren, jeder Spur nachgehen, in jedem Haushalt zur Vesper einkehren und die Leute studieren – das geht nicht. Nur wer Pentiment erneut in seiner Gänze bewältigt, kann alternative Dinge ausprobieren – denn auch eine Kapitelauswahl fehlt. Das kann man konsequent finden und es passt zweifelsohne zum Ansatz des Spiels – ich kann aber nicht leugnen, dass ich an ein paar Stellen gerne „zurückgespult“ hätte.

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Um Gottes Willen! Mitten in der Abtei ist ein Mord geschehen. Das verlangte nach Inspector Andreas Maler und seinem Spürsinn. © 4P/Screenshot

Wie ungewöhnlich und gleichzeitig prachtvoll das Spiel in all seinen Facetten aussieht, das erkennt ihr auf den Screenshots – den kreativen Umgang mit Schriften und Geräuschen möchte ich aber noch erwähnen: Pentiment zeigt den gesellschaftlichen Hintergrund und Bildungsgrad seiner handelnden Personen auch im Schriftbild: Bauern „sprechen“ mit krakeligen Lettern, während ihre Worte erscheinen, werden live Rechtschreibfehler ausgebessert. Die Worte von Mönchen und Nonnen aus besserem Hause werden mit sauberer Frakturschrift aufs digitale Pergament gesetzt und auch für den Buchdrucker des Ortes haben sich die Spielmacher eine pfiffige Lösung überlegt. Der mal ruhige, mal bedrohliche Akustik-Soundtrack passt trefflich zum Setting des Spiels und sogar die Schreib- und Kratzgeräusche, welche die Dialogzeilen im Bild untermalen, werden als Stilmittel eingesetzt.