North ist kein langes Spiel. Etwa eine halbe Stunde dauert das Kennenlernen der Seite, die die Meisten vermutlich nur aus Nachrichten kennen. Und ich will es vorweg nehmen: Es ist auch kein gutes Spiel. Denn Neu und Helferstein scheitern daran, ihr gut gemeintes Ansinnen in einem Erlebnis zu vermitteln, das vielleicht zum Nachdenken anregen, im besten Fall bewegend, zumindest aber informativ sein sollte. Ihre Darstellung des erdrückenden Ankommens in einer fremden Welt ist zwar auch für ihre Spieler erdrückend – allerdings aus den völlig falschen Gründen.
Auf dem Papier treffen die Entwickler den richtigen Ton: Die übergroßen Mauern der engen Gassen einer dystopischen Metropole, deren einzige Lichter wie unerreichbare Lebenszeichen wirken, könnten hervorragend vermitteln, wie erschlagend und verängstigend die fremde Umgebung wirkt. Doch in gerade mal drei kleinen Straßenzügen, praktisch ohne bewegliche Objekte und getrennt durch Türen, die sich keinen Millimeter weit öffnen,
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Eng und übergroß: Die Straßen der neuen Heimat wirken bedrohlich. © 4P/Screenshot
Vom Winde verweht
Vor allem aber fehlt North eine spielerische Grundlage. Auf dem Papier spielt man zwar einen durch die Wüste vom Süden in den Norden gereisten Migranten, der Arbeit finden und zu einem Mitglied seiner neuen Heimat werden muss, doch das interaktive Eintauchen in die Rolle funktioniert nicht. Der Grund ist die unsinnige Struktur, über die nicht nur die Geschichte erzählt wird; die Briefe, in denen der Akteur seiner Schwester von seinen Erfahrungen in der neuen Welt berichtet, in denen er aber auch schreibt, was er dort tun muss. Betritt man einen neuen Raum oder entdeckt man einen neuen Gegenstand, erfährt man also nicht sofort, was wie zu tun ist, sondern läuft zurück zum Briefkasten, wo man nacheinander alle gesammelten Informationen durchblättert. Später darf man die Briefe nicht mehr abrufen. Es gibt in North kein Menü – weder um Einstellungen vorzunehmen noch Informationen einzusehen oder das Programm zu beenden.
So fühlt man sich nie wie der Handelnde, sondern wie der entnervte Leser eines Buches, der die vom Winde verstreuten Seiten aller Kapitel sucht, bevor er sie lesen darf, immer unsicher, ob man bereits alle gefunden hat. Zu
In seinem Ansinnen ist North lobenswert
: Das Berliner Studio Outlands bietet sein Spiel auf der offiziellen Webseite für einen Preis an, den man selbst festlegt.Wer mindestens drei Dollar zahlt, erhält dabei den Soundtrack und die Hälfte dieser Einnahmen geht an die wohltätigen Organisationen Refugee Open Ware und Refugees on Rails. © 4P/Screenshot
Eine lehre Botschaft
Und das ist letztlich die größte Schwäche: Helferstein und Neu inszenieren weder eine emotionale Achterbahnfahrt noch einen interessanten Einblick in die Gefühlswelt ihres Protagonisten. Seine Briefe sind wichtige Anhaltspunkte, lassen aber nicht tief genug blicken. Spielerisch ähnlich unnahbar war That Dragon, Cancer, doch dessen Erschaffer lieferten wenigstens eine große Reihe an Informationen darüber, was der bevorstehende und geschehene Tod ihres Kindes mit ihnen und ihrem Leben anrichtete.
North hingegen ist gerade inhaltlich schwach. Es erzählt viel zu wenig, um Interessierte, also bereits Informierte anzusprechen oder gar jenen etwas zu sagen, die dem Flüchtlingsstrom kritisch gegenüberstehen. Tatsächlich lassen die Entwickler kaum erkennen, ob sie ihr Thema auf mehr als eine oberflächliche Weise überhaupt recherchiert haben. Eine Reihe Bilder und Fotos reichen diesem Spiel jedenfalls nicht, um die Situation der neuen Europäer umfassend zu vermitteln.