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Neverending Nightmares (Adventure) – Echter Psychoterror

Seit dem finanziellen Misserfolg seines Retro/Grade nehme ich Matt Gilgenbach als markante Figur unter den Spielemachern wahr. Nicht nur, weil er auf der Game Developers Conference eine emotionale Rede über die schwierige Entwicklung des Projekts hielt. Sondern vor allem deshalb, weil er in seinem folgendem Spiel jene Dämonen zeigen wollte, die ihn privat und beruflich so viel gekostet haben. Jetzt ist „Neverending Nightmares“ erschienen. Gelingt Gilgenbach ein fesselnder Blick in seine Seele?

© Matt Gilgenbach / Infinitap Games

Reales Schlafwandeln

Ein Brummen wie aus einer anderen Dimension erfüllt den Raum. „Wach auf!“, flüstert eine Stimme hinter mir – leider nur auf Englisch, wahlweise unterlegt mit deutschen Texten. Aber ich kann niemanden sehen. Ein Korridor reiht sich an den nächsten, eine Tür führt zu neuen Türen. Oder bin ich hier längst gewesen?

Dann wache ich tatsächlich auf. Endlich. Doch das Brummen ist noch da.

Als reales Schlafwandeln durch ewig gleiche und doch immer verschiedene Korridore stellt Gilgenbach dar, was in seinem Kopf vorgeht: Schatten verdunkeln die Sicht, Blutspritzer verunstalten die erschreckende Kulisse. Mit Depressionen hatte er zu kämpfen, nachdem sich Retro/Grade als finanzielles Desaster entpuppte, Zwangsgedanken belasten ihn seit Jahren. Schon im Kickstarter-Video machte der Entwickler klar, dass er in Neverending Nightmare seine „Ängste und den Terror“ ausdrücken will.

Intensives Erschrecken

Eine Geschichte erzählt er dabei nicht, zumindest nicht vordergründig. Denn obwohl ich der Frage nachgehe, was mit Hauptfigur Thomas und seinem Haus eigentlich passiert, skizziert Gilgenbach eher eine

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Wer ist die Frau, die eine wichtige Rolle in Thomas‘ Träumen spielt? © 4P/Screenshot

Momentaufnahme dessen, wie es sich anfühlt, sich zwischen bekannten Tischen, Bildern und Schränken zu verlaufen. Die verschiedenen Enden erklären das Wie und das Warum – der entscheidende Punkt ist aber das Erleben des Augenblicks. Und an den fesselt er mich spätestens dann, wenn die vertrauten Wände „meines“ Hauses zu den heruntergekommenen Mauern einer Irrenanstalt werden.

Als Inspiration dient ihm erklärtermaßen Silent Hill 2, dessen Monster den Wahn verkörpern, anstatt zum Selbstzweck zu erschrecken. Dass der Klassiker als Vorlage dient, zeigen aber nicht nur die Kreaturen dieses Albtraums. Das verdeutlicht auch der eindringliche, erdrückende Klang. Gelungene Schreckmomente sind gut platziert, verdanken ihre Wirkung aber vor allem dem eindrucksvollen Ton. Besonders mit Kopfhörern ist Neverending Nightmares ein intensives Erlebnis.

Langes „Kurzspiel“


Wenn auch nicht so intensiv wie es sein könnte. Zum einen ist das Spiel zu lang, denn ich hätte schon im ersten Anlauf keine zwei Stunden durch den schaurigen Albtraum irren müssen, um ihn zu verstehen. Etwas mehr als die Hälfte hätte genügt, denn wie viele Independent-Titel ist Neverending Nightmares das Äquivalent einer Kurzgeschichte. Eine entsprechende Länge hätte ihm gut gestanden.

Zum anderen gibt es zu wenige Möglichkeiten mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Immerhin laufe ich lediglich geradeaus, selten ein paar Meter zurück. Ich öffne Türen oder begutachte wenige Objekte meiner Umgebung, mehr nicht. An einigen Monstern muss ich zwar vorsichtig vorbei schleichen – das ist aber kaum der Rede wert. Das ebenfalls an Silent Hill 2 angelehnte Lone Survivor hat gezeigt, dass selbst ständige Routine sowohl erzählerisch als auch spielerisch interessant sein kann. Hier droht die Routine leider Monotonie zu werden.