Mitte der Neunziger weckte eine Insel voller geheimnisvoller Maschinen die Neugier von mehr als sechs Millionen Spielern. Detailreich gerenderte Standbilder und Videoschnipsel direkt von der CD machten Cyans neuartiges Adventure zu einem vereinnahmenden Erlebnis – das sich im VR-Zeitalter neuerdings in Echtzeit erkunden lässt. Im Nachtest für Oculus-Quest überprüfen wir, wie sich das im Dezember veröffentlichte Remake schlägt, das später übrigens auch für andere Systeme mit und ohne VR geplant ist.
Nach Teil 5 aus dem Jahr 2005 (zum Test) geht es also erneut zurück zu den Anfängen. Die Idee leuchtet ein: Das Gefühl der Abschottung per VR-Headset passt schließlich ideal zum Thema des Puzzle-Abenteuers, welches den Spieler weit weg aus dem Alltag befördert. Mit Hilfe eines zufällig gefundenen Buches landet man durch einen Weltenriss auf der Insel Myst, die passend zum Namen von geheimnisvollen Apparaturen übersät ist.
In der Bibliothek warten bereits die in Büchern gefangenen Brüder Sirrus und Achenar, welche mit exzentrischen Phrasen darum bitten, ihnen versteckte Seiten zu bringen. Wer ein wenig in den übrigen Schriftstücken nach den Anekdoten ihres Vaters stöbert, erfährt schnell mehr über das Spannungsverhältnis zu den Söhnen sowie die Mechanismen hinter den Verbindungen verschiedener Welten bzw. Zeitalter, die sich in beliebiger Reihenfolge besuchen lassen. Spielerisch hält sich das zunächst nur in VR erhältliche Remake sehr nah am Original. Neuerdings erkundet man Rätsel, Apparate und versteckte Durchgänge mit kompletter Bewegungsfreiheit in Polygongrafik statt Standbilder zu manipulieren.
Doch von der Darstellung abgesehen gilt es die gleichen Puzzles wie früher zu lösen – sofern man nicht zu Spielbeginn im Menü vom Zufallsgenerator einige der vertretenen Zahlen und Buchstaben auswürfeln lässt. Mal muss eine Turmuhr auf der Insel passend eingestellt werden, damit sich eine Brücke aus dem Wasser hebt und sich ein wuchtiges Maschinenrätsel aus rotierenden Zahnrädern erreichen lässt. Anderswo wird die Energieversorgung bestimmter Inselbereiche manipuliert.
Besonders faszinierend ist im Zeitalter der Steinschiffe das Abpumpen und Fluten kompletter Grotten, in denen sich so neue, detailreich eingerichtete Kammern erkunden lassen. Durch das Heben des Wasserstandes lässt sich z.B. eine leichter gewordene Kiste in die Höhe spülen, die sich dann mit einem Schlüssel an einer Leine erreichen lässt und einen weiteren Schlüssel zum Freigeben der Leuchtturmsprossen offenbart. Die behutsame Erkundung der Insel und der teils surrealen Mechanismen der verbundenen anderen Zeitalter verströmt nach wie vor eine eigenwillige Faszination, weil man komplett auf sich gestellt ist. Ohne auf andere Figuren zu treffen und ohne moderne Hilfen muss man anhand aufmerksamer Untersuchungen und dem Deuten von Hinweisen seine eigenen Schlüsse ziehen, damit sich nach und nach die Zusammenhänge der vertrackten mechanischen Puzzles preisgeben. Ein Inventar gibt es hier nicht, einzelne Gegenstände lassen sich aber in der Hand transportieren.
Die Verwandlung der virtuellen Hände in kleine Kreise wirken bei der Bedienung von Maschinen zwar etwas seltsam, in der Praxis funktioniert das System aber recht gut. Im Zeitalter narrativer Adventures, die sich beinahe von selbst spielen, wirkt hier vieles archaisch und sehr knifflig. Der Mangel an Hinweisen dürfte allerdings auch gestandenen Adventure-Fans sauer aufstoßen. Hier und da wird zwar durch räumlich ortbares Quietschen, Knistern oder Glucksen symbolisiert, dass sich anderswo etwas wie die Wasserstandsänderung getan hat – doch viel zu oft irrt man danach Dutzende von Minuten umher, bis sich endlich die größeren Zusammenhänge erkennen lassen. Was genau haben die Rädchen und Zahlen vor der Grotte voller Generatoren zu bedeuten – oder die Dutzenden Seiten voller Knöpfchen-Diagramme in einem der Bücher? Wer keine guten Englischkenntnisse mitbringt, dürfte noch häufiger auf dem Schlauch stehen, da eine deutsche Übersetzung fehlt.